Operation Amazonas
nächsten halben Stunde marschierte die Gruppe wieder unter dem Laubdach her, begleitet vom Gebrüll der Kapuziner- und Wollaffen. Manny zeigte auf einen Zwergameisenbär, der auf einem Ast hockte. Erstarrt vor Angst, ähnelte er mit seinen großen Augen und dem seidigen Fell eher einem Stofftier. Gefährlicher, jedoch aufgrund der grün schillernden Schuppen nicht minder künstlich wirkte eine Grubenotter, die sich um einen Palmwedel geschlungen hatte.
Plötzlich wurde an der Kolonnenspitze laut gerufen. »Ich habe etwas entdeckt!« Es war Captain Warczak.
Kelly hoffte, es wäre kein weiterer Ameisenbaum.
»Ich glaube, das stammt von Gerald Clark!«
Die Gruppe schloss zum Corporal auf. Auf einem kleinen Hügel stand ein großer Paranussbaum. Am Stamm hing ein schmaler, durchnässter Stoffstreifen.
Als die anderen herandrängten, winkte Corporal Warczak sie zurück. »Ich habe Stiefelabdrücke entdeckt«, sagte er. »Die sollten wir nicht zertrampeln.«
»Stiefelabdrücke?«, wiederholte Kelly gedämpft, während der Soldat langsam um den Baum herumging und auf der anderen Seite stehen blieb.
»Von hier führt eine Fährte weiter!«, rief er nach hinten.
Captain Waxman und Frank gesellten sich zu ihm.
Kelly runzelte die Stirn. »Ich dachte, Gerald Clark wäre barfuß aus dem Dschungel aufgetaucht.«
»Ist er auch«, sagte Nate, der neben ihr wartete. »Der Yanomami-Schamane, den wir gefangen genommen hatten, meinte, die Dorfindianer hätten Clark sämtliche Habseligkeiten abgenommen. Offenbar auch die Stiefel.«
Kelly nickte.
Richard Zane deutete am Stamm hoch. »Haben wir eine weitere Nachricht entdeckt?«
Sie alle warteten auf das Okay zum Betreten des Geländes. Captain Waxman und Frank kehrten zurück, während Corporal Warczak bei der Fährte hocken blieb.
Die Gruppe wurde herangewinkt. Kelly erreichte den Baumstamm als Erste. In die Rinde waren deutlich erkennbare Zeichen eingeritzt.
»G. C.: Gerald Clark«, sagte Nate. Er zeigte in die Richtung, in die der Pfeil wies. »Zeigt genau nach Westen. Wie auch die Stiefelspuren, die Warczak entdeckt hat. Datiert vom siebten Mai.«
Olin lehnte sich an den Baum. »Siebter Mai? Demnach hätte Clark also zehn Tage gebraucht, um von hier aus zum Dorf zu gelangen. Da war er aber ziemlich langsam.«
»Wahrscheinlich ist er im Gegensatz zu uns nicht der Luftlinie gefolgt«, erwiderte Nate. »Vermutlich hat er viel Zeit darauf verwendet, nach Spuren der Zivilisation Ausschau zu halten, und viele Umwege gemacht.«
»Außerdem war er zu dem Zeitpunkt schon krank«, setzte Kelly hinzu. »Der von meiner Mutter durchgeführten Autopsie zufolge hatte der Krebs damals schon den ganzen Körper befallen. Wahrscheinlich musste er sich häufig ausruhen.«
Anna Fong seufzte schwer. »Wenn er die Zivilisation bloß eher erreicht hätte, dann wüssten wir jetzt, wo er hergekommen ist.«
Olin stieß sich vom Baum ab. »Wo wir gerade von Zivilisation sprechen, ich sollte allmählich die Satellitenverbindung klarmachen. In einer halben Stunde steht die Videokonferenz an.«
»Ich helfe Ihnen«, erbot sich Zane.
Der Rest der Gruppe zerstreute sich. Die einen befestigten Hängematten oder sammelten Holz, die anderen suchten nach essbaren Früchten. Kelly kümmerte sich allein um ihren Ruheplatz und spannte das Moskitonetz wie ein Profi auf.
Frank arbeitete neben ihr. »Kelly …?« Seinem Tonfall war zu entnehmen, dass er sich auf gefährliches Terrain vorwagte.
»Ja?«
»Ich glaube, du solltest nach Hause fliegen.«
Sie hörte auf, am Netz zu zupfen, und wandte den Kopf. »Was redest du denn da?«
»Ich habe mit Captain Waxman gesprochen. Als er heute Morgen seinen Vorgesetzten von dem Angriff berichtet hat, befahlen sie ihm, entbehrliches Personal zurückzuschicken, sobald ein sicheres Lager eingerichtet ist. Heute Nacht war es zu knapp. Sie wollen keine weiteren Todesfälle riskieren. Außerdem erschweren die Zivilisten den Rangern das Vorankommen.«
»Aber –«
»Olin, Nate und ich werden die Ranger begleiten.«
Kelly drehte sich vollständig zu ihm um. »Ich bin nicht entbehrlich, Frank. Ich bin hier die einzige Ärztin und marschiere ebenso gut wie du.«
»Corporal Okamoto ist ausgebildeter Feldarzt.«
»Aber noch lange kein studierter Mediziner.«
»Kelly …«
»Frank, tu das nicht.«
Er wich ihrem Blick aus. »Die Entscheidung ist bereits gefallen.«
Kelly ging ein Stück um ihn herum, sodass er sie wieder ansehen musste. » Du hast dich entschieden. Du leitest den
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