Operation Beirut
Studenten zusammenkamen, um anstatt theologischer Fragen politische Taktiken zu diskutieren. Das Überleben der Christen stehe auf dem Spiel, argumentierten die Aufwiegler aus Kaslik. Die palästinensischen Kommandos hätten die politische Balance im Libanon zugunsten der Moslems verschoben und damit den geschützten Status der Christen in Gefahr gebracht. Einige der maronitischen Theoretiker gingen gar noch weiter und brachten die höchste aller arabischen Ketzereien vor: Die libanesischen Christen seien wie die israelischen Juden! Beide seien sie kleine Inseln in einem Meer feindlicher islamischer und arabischer Kultur. Bevor es zu spät sei, sollten die Christen es den Juden gleichtun und über ihre Feinde triumphieren.
Pater Maroun Lubnani empfing Rogers am Tor und begleitete ihn in seine Klosterzelle, einen einfachen Raum, der ein schmales Messingbett, einen Schreibtisch, zwei Stühle und ein Kruzifix enthielt. Pater Maroun war ein stämmiger Mann von der Statur eines Football-Verteidigers. Er trug eine schlichte Kutte mit einem Strick als Gürtel, als wollte er damit sagen: Ich bin ein bescheidener Mönch. Rogers glaubte nicht daran. Er stellte sich dem libanesischen Geistlichen vorsichtig vor, indem er sich lediglich als ein bei der Botschaft angestellter Vertreter der US -Regierung zu erkennen gab.
Pater Maroun machte eine Geste mit der Hand, als wollte er sagen: Jetzt kommen Sie aber! Halten Sie mich für einen Trottel? Er schien jedoch überrascht, als Rogers ihn auf Arabisch ansprach. Er sagte, er ziehe es vor, sich auf Französisch zu unterhalten.
«Sind Sie mit der Geschichte unserer Kirche im Nahen Osten vertraut?», fragte Pater Maroun.
Rogers antwortete ihm nicht, aber es schien ohnehin keine Antwort nötig zu sein. Pater Maroun hatte seinen Text parat.
«Es ist eine, so darf ich wohl sagen, Geschichte des Überlebens. Es ist die Geschichte eines Bergvolkes, das weder bereit war, seinen Glauben noch seine Freiheit aufzugeben.»
Während er sprach, gestikulierte der Priester mit seinen großen, dicken Fingern.
«Unsere Vorfahren suchten vor 1300 Jahren nach einem theologischen Disput, in dem sie sich gegen die Byzantiner auf die Seite Roms stellten, in den libanesischen Bergen Zuflucht. Man vertrieb sie aus dem Norden Syriens in diese Berge hier, und ihre Nachfahren sind nie wieder weggegangen.»
Der Priester machte eine Pause.
«Und haben um ihr Überleben gekämpft», erlaubte sich Rogers einzuwerfen.
Pater Maroun sah ihn mit dem gequälten Ausdruck eines Lehrers an, dessen Vortrag durch einen übereifrigen Schüler unterbrochen worden war. Er zog die Augenbrauen hoch und fuhr fort.
«Die Maroniten sind nie Krieger gewesen. Wir waren ein Bergvolk, das nur dann kämpfte, wenn es sich zu verteidigen galt. Wir haben andere verfolgte Minderheiten immer mit Freuden in unserer Mitte aufgenommen: Griechisch-Orthodoxe, Melchiten und syrische Christen, Drusen und alawitische Moslems.
Im Lauf der Jahrhunderte sahen wir den Aufstieg des Islam und das periodisch wiederkehrende Abschlachten von Christen im Nahen Osten. Die Armenier in der Türkei, die Kopten in Ägypten, die Griechen in Anatolien. Wir sahen, wie Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Die Armenier verloren ihr uraltes Königreich. Die Palästinenser verloren Palästina. Die Juden selbst verließen Israel und waren fast zweitausend Jahre lang fort! Wir aber sind geblieben. Wir sind in unseren Bergen geblieben und haben eine Nation geschaffen – den Libanon –, die unseren Glauben an Freiheit und religiöse Toleranz verkörperte.»
Der Priester schwieg und goss sich und seinem Gast ein Glas Wasser ein.
«Jetzt wird der Libanon angegriffen», fuhr er dann fort. «Die Schlacht steht erst am Anfang, aber die Dimensionen des Konflikts sind bereits abzusehen. Die Palästinenser haben erkannt, dass sie den Juden ihr Land nicht wieder abnehmen können, und haben beschlossen, sich stattdessen unser Land zu nehmen. Die libanesischen Moslems, die vor ihren arabischen Brüdern Angst haben und heimlich davon träumen, einen islamischen Staat zu regieren, ermutigen die Palästinenser noch, den Libanon in Grund und Boden zu richten. Unsere korrupte Regierung hat so gut wie kapituliert. Sie haben den Fedajin die Kontrolle über den Süd-Libanon überlassen und gestatten ihren Soldaten, mit ihren Waffen auf den Straßen herumzustolzieren. Keine wirkliche Nation würde so etwas dulden! Sogar der König von Jordanien wird den Mut aufbringen
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