Operation Blackmail
wo der Inhalt des Päckchens verstreut am Boden lag, und raffte mit
beiden Händen alles zusammen. Solveigh schien ihn am Oberschenkel verletzt zu
haben, aber er war noch auf den Beinen.
Paul musste blitzschnell entscheiden. Statt ihn direkt unter
Beschuss zu nehmen, stellte er den Abzug seines Gewehrs auf Dauerfeuer und
errichtete eine Kugelbarriere zwischen dem Russen und dem Rest seines Pakets,
von dem einzelne Seiten auf dem Boden liegen mussten. Zumindest hoffte Paul
das. Mikanas schien seine Chancen abzuwägen und entschloss sich zur Flucht. Ein
weiterer Schuss krachte durch das Tal, als er sich hinter einen Felsen duckte
und sein Wärmebild verschwand.
»Move.«
Und Paul bewegte sich. Er stand auf und rannte den Hang hinunter.
Aber er war zu langsam. Als er nur noch etwa fünfzig Meter entfernt war, sah
er, wie sich unterhalb seiner Position eine dunkle Silhouette in Schwüngen
schnell Richtung Tal bewegte. Er legte das G 36 an und stellte es zurück auf
Einzelschüsse, um besser zielen zu können. Drei Schüsse hallten durch das weite
Tal. Also hatte er doch Skier dabeigehabt, er war für einen gezielten Schuss
schon viel zu weit entfernt. Verdammter Mist. Paul kniete nieder und fühlte
Agent Polluxâ Puls. Er war am Leben, der Russe hatte ihn nur bewusstlos
geschlagen. Dann sah er sich nach möglichen Resten aus dem Paket um, dessen
Inhalt er mit seinem riskanten Sperrfeuer zu verteidigen versucht hatte. Bei
der mageren Ausbeute handelte es sich gerade einmal um einen einzigen lausigen
kleinen Fetzen Papier. Das Einzige, was er mit Mühe entziffern konnte, war der
Teil eines Wortes: lderberg.
In Pauls Kopf rasten die Impulse um die Wette, während er sein
Gewehr sicherte, um auf Solveigh zu warten.
KAPITEL 57
Amsterdam, Zentrale der ECSB
Tag 13: Samstag, 19. Januar, 08:44 Uhr
Als Dominique Lagrand in der ECSB-Zentrale eintraf, verspürte
er eine neue hektische Betriebsamkeit. Ihm kam es vor, als ob nicht mehr nur
Solveigh, Eddy und er die EuroBank-Erpressung bearbeiteten, sondern das gesamte
Stockwerk in dem Amsterdamer Bürogebäude. Auf allen Monitoren flimmerten Bilder
zu ihrem Fall: die Bürotürme in Frankfurt, Videoschaltungen zu externen
Experten und auffallend viele Fotos von Berühmtheiten. Staatsoberhäupter,
Wirtschaftsbosse und immer wieder ein Schloss an einem malerisch gelegenen See.
Dominique fragte sich, was es damit auf sich hatte. Verwundert drückte er den
Türöffner und rollte in den groÃen Konferenzraum. Jetzt wurde ihm klar, warum
er intern »War Room« genannt wurde: Der ovale Tisch war voll besetzt, und auf
den Monitoren an der Wand blinkten Statusanzeigen von Swat-Teams, oder es
liefen Videokonferenzen, deren Ton abgestellt war. Neben Thater und Eddy waren
noch zwölf weitere Personen anwesend, eine davon, eine junge Frau mit kurzem
Pagenkopf, packte zusammen, als sie ihn bemerkte: »Dein Platz«, lächelte sie,
schob ihren Stuhl aus dem Weg und verlieà mitsamt Laptop und Unterlagen ohne
ein weiteres Wort den Raum. Niemand nahm von ihr Notiz. Er war verwundert,
bugsierte sich aber in die entstandene Lücke.
Jetzt begrüÃte ihn auch Thater: »Willkommen zurück, Dominique. Wir
kennen jetzt das finale Ziel. In deiner E-Mail findest du unser aktuelles
Situationsbriefing«, sagte der Chef und wandte sich wieder seinem
Gesprächspartner zu.
Die Atmosphäre war angespannt, die meisten der Analysten am Tisch
konzentrierten sich auf ihre Computer oder führten leise Telefonate über
Kopfhörer und Mikrofon. Dominique klappte seinen Laptop auf und begann mit der
Lektüre des »Situation Brief«, wie der Lagebericht im ECSB-Jargon hieÃ. Auf der
Liste der beteiligten Agents standen über vierzig Personen, es schien in der
Tat beinahe die gesamte ECSB involviert. Er scrollte zum Bericht von Solveigh.
Das vermeintliche Treffen hatte sich als Ãbergabe herausgestellt. Leonid
Mikanas war ihnen knapp entkommen, aber Paul Vanderlist war es gelungen, einen
Fetzen Papier zu sichern, auf dem »lderberg« stand. Thater war schlieÃlich
darauf gekommen, dass es sich um die sogenannte Bilderberg-Konferenz handeln
musste, in Wirtschaftskreisen eine legendäre Institution. Solveigh Lang war
davon überzeugt, dass dort der nächste Anschlag stattfinden würde. Dominique,
der noch nie etwas von dieser Konferenz gehört hatte, las den beigefügten
Hintergrundbericht, den
Weitere Kostenlose Bücher