Operation Blackmail
vertrauter, grenzten schon an Erotischem. Für die Phantasien, die sie
ausgetauscht hatten, wären sie im Jagdhof bestens aufgehoben â falls sie nicht
doch noch Hausverbot bekam. Bei dem Gedanken an heute Morgen musste sie
schmunzeln. Das Gesicht der jungen Lady am Empfang, als sie verfroren und
übernächtigt um fünf Uhr in ihren schwarzen Kampfanzügen in das
Vier-Sterne-Haus einmarschiert waren. Erst nach eingehendem Studium ihres
Dienstausweises und der Beteuerung, wirklich keine Geiseln nehmen zu wollen,
hatte sie ihnen die Schlüssel ausgehändigt. Der Schlaf war dringend notwendig
gewesen, deshalb hatten sie ihre Lagebesprechung erst für 12:00 Uhr angesetzt.
Es gab einiges zu tun, und wenn sie mit ihrer Vermutung recht hatte, würden sie
nicht mehr um die halbe Welt jetten müssen, um die Sache zu Ende zu bringen:
Die Bilderberg-Konferenz fand in diesem Jahr in Ãsterreich statt, in einem
Luxushotel in der Nähe von Salzburg. Sie begann in vier Tagen und endete in
acht, damit würde die Erpressung in einer Woche sicher beendet sein, mit
welchem Ausgang, war allerdings nach wie vor offen. Aber der Anschlag auf
Heinkels Leben war mit Sicherheit der letzte Akt in diesem Stück. Entweder sie
konnten Leonid Mikanas stoppen, oder die Bank würde bezahlen. So oder so. Den
Tod ihres Vorsitzenden konnte das Institut unmöglich verwinden, zu groà wäre
das Chaos, in das die Organisation stürzen würde. Nein, musste sie zugeben, der
Plan der Erpresser war gut. Aber nicht gut genug, wenn sie ein Wörtchen
mitzureden hatte. Sie stellte die Dusche ab, schwang sich ein Handtuch um die
Hüften und ging tropfnass zu ihrem Laptop auf dem Schreibtisch der Suite. Sie
hatte ihn per Kabel mit dem Hotelnetz verbunden, ein Fehler wie in Paris würde
ihr nicht noch einmal unterlaufen.
Während sie sich die Haare trocken rubbelte, überprüfte sie, welche
Fakten das Analystenteam der ECSB in der letzten Nacht zusammengetragen hatte.
Nachdem sie das Dossier über die Bilderberg-Konferenz gelesen hatte, pfiff sie
durch die Zähne. Herrschaftszeiten, das wird ein Spaà mit den ganzen
GroÃkopferten auf einem Fleck. Sie konnte sich schon jetzt vorstellen, welches
Kompetenzgerangel es geben würde. Hillary Clinton, die US-AuÃenministerin, war
ebenso angekündigt wie Fiat-Boss Agnelli. 140 Personen, von denen für
mindestens 80 die höchste Sicherheitsstufe galt. Secret Service, private
Sicherheitskräfte, die Leibwächter der Staatsoberhäupter, jeder mit seinem
eigenen Konzept. Sie hoffte inständig, dass die Amerikaner schon das Ruder in
die Hand genommen hatten, sie waren, was Personenschutz angeht, die Besten der
Welt. Solveigh vermutete, dass Thater neben ihnen noch mindestens zwei weitere
ECSB-Teams entsenden würde.
Gerade als Solveigh ihre Bluse zugeknöpft hatte, klopfte es an der
Tür. Es waren Paul und Pollux, der immer noch sichtlich mitgenommen aussah,
aber es zumindest geschafft hatte, sich umzuziehen. »Pollux, pack deine
Sachen«, forderte sie ihn auf. »Wir fahren in zehn Minuten. Uns bleiben vier
Tage, um die Ermordung von Dr. Peter Heinkel zu verhindern. Paul, für Sie geht
es zurück nach Frankfurt. Versuchen Sie mit allen Mitteln, den Maulwurf bei der
EuroBank zu identifizieren. Eddy hat Ihnen einen Wagen organisiert, er steht
unten.«
»Heinkel fährt auf die Bilderberg-Konferenz?«, fragte Paul erstaunt.
»Das wusste ich gar nicht.«
»Irgendjemand hat es gewusst. Und ich bin überzeugt, dass genau
dieser Jemand unser faules Ei in Ihrem Institut ist, Paul, Sie müssen ihn
finden, denn wenn wir Leonid Mikanas nicht aufhalten können, ist er vielleicht
unsere zweite Chance.«
Die erste halbe Stunde saÃen Solveigh und Pollux schweigend
nebeneinander. Sie fuhr, er starrte aus dem Fenster auf die vorbeifliegende
Landschaft.
»Alles okay, Pollux?«, fragte Solveigh besorgt.
»Ja, ich bin nur wütend. Dass er mich so leicht austricksen konnte,
will ich mir einfach nicht verzeihen. Wie ein Anfänger habe ich mich vorführen
lassen.«
Solveigh schwieg. Sie wusste, dass sie in diesem Moment nichts sagen
konnte, was ihm weitergeholfen hätte. Der Schneefall setzte wieder ein, der
Scheibenwischer klatschte rhythmisch wie ein Metronom in dem ansonsten
erstaunlich stillen und komfortablen Fahrzeug. Sie drehte die Heizung höher.
Einige Minuten später wagte sie dann doch,
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