Operation Blackmail
hörte die Welt, wie er sie kannte, auf zu existieren. Die Zeit
blieb stehen. Er hörte ein seltsames Geräusch, es klang wie ein Druckschlauch,
der nach dem Befüllen eines Autoreifens abgezogen wird. Sein Körper flog mit
dem Rücken an die Wand. Sonderbar, er fühlte keinen Schmerz. Stattdessen sah er
einen schwarz gekleideten älteren Mann, der mit einem Gewehr auf ihn zielte.
Ungläubig betrachtete er das klaffende Loch in seiner Bauchhöhle, er japste
nach Luft. Doch dann kam er, der Schmerz, unnachgiebig, brutal, wie noch nie.
Seine Hände umklammerten seine Gedärme, ein Reflex befahl ihm, sie zurück in
die Bauchhöhle zu stopfen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Die Todesangst
kämpfte mit den Schmerzen um seine Aufmerksamkeit. Noch einmal wurde der
Luftschlauch vom Reifen gelöst. Als Letztes sah er ein nahes Mündungsfeuer,
eine Kugel schoss hervor, die auf seine Stirn zuflog. Langsam, Bild für Bild
übertrug sein Sehnerv die endlose letzte Sekunde des Lebens an sein Gehirn.
KAPITEL 17
Paris, Avenue Friedland
Tag 2: Dienstag, 8. Januar, 11:48 Uhr
Mao Gruber verzehrte gerade das dritte Croissant des Tages
in einem Café unweit der Pariser EuroBank-Filiale, als das erste unerwartete
Ereignis der letzten vier Tage geschah. Die Pariser Polizei führte
offensichtlich eine neue Ermittlerin ins Feld, die gerade mit dem
schmalbrüstigen Hänfling des Polizeipräsidenten aus dem Auto stieg. »Nicht
schlecht, schicke Stelzen«, pfiff Mao durch die Zähne und nippte an seinem
Cappuccino.
Während der letzten drei Tage hatte er sich Notizen über alle
Ermittler gemacht, ihre Tätigkeiten dokumentiert, beobachtet, wie das
Forensikteam der Polizei angerückt war. Da er ohnehin noch Zeit hatte, bis er
Leonids nächsten Briefkasten befüllen musste, wollte er so viel wie möglich
über das Vorgehen der Polizei herausfinden. Zwar hatte er im Vorfeld umfassende
Recherchen angestellt, aber wie sagte es sich so schön: Ein Plan, der nur das
Mögliche berücksichtigt, verdient seinen Titel nicht. Weise Worte eines alten
Mannes, angeblich auf dem Sterbebett. Trotzdem hatte er recht. Mao zwang sich
zu geordneten Ãberlegungen. Was könnte es mit dieser neuen Ermittlerin auf sich
haben? Eine weitere Expertin? Aber wofür? Die Spurensicherung war schon
abgerückt. Dagegen sprach auÃerdem, dass sie in Begleitung des persönlichen
Adjutanten von General sowieso aufschlug. Nein, dachte Mao, viel
wahrscheinlicher ist eine externe Expertin oder eine Beamtin des deutschen BKA,
die sich selbst ein Bild von der Lage machen wollte. Das allerdings wären
schlechte Nachrichten. Konnte es wirklich sein, dass die deutschen Behörden so
schnell reagierten? Nein, im Grunde unvorstellbar, sie werden mit der
Auswertung des Erpresserbriefs beschäftigt sein und alles Weitere den
französischen Kollegen überlassen. Vertrauen wurde groÃgeschrieben in der EU,
auch zwischen den Behörden. Also doch eine Externe. Pah, dachte Mao und tunkte
den Rest seines Croissants in den süÃen Milchkaffee, die EuroBank wird sowieso
bezahlen, und nicht zu knapp. Im Ãbrigen völlig zu Recht, fand Mao. Sie hätten
es seinem damaligen Arbeitgeber ja nicht brühwarm auftischen müssen, die Sache
mit dem kleinen Insidergeschäft. Vollkommen lächerlich. Mal sehen, ob ihr das
nicht noch bereut. Und auch du wirst mir das hier nicht versauen, junge Frau.
Aber im Auge behalten werde ich dich trotzdem. Wir werden schon noch
herausfinden, wer du wirklich bist, nahm sich Mao vor. Während er beobachtete,
wie der Adjutant und die Frau das Haus betraten, aus dem Leonid geschossen
hatte, bestellte er vorsichtshalber schon einmal die Rechnung.
KAPITEL 18
Paris, Avenue Friedland
Tag 2: Dienstag, 8. Januar, 11:53 Uhr
Nach ihrer chaotischen Fahrt durch den Pariser Berufsverkehr
stieg Agent Solveigh Lang gegenüber der EuroBank auf der geschäftigen Avenue
Friedland aus Dominiques Wagen. Die Morgensonne schien ihr wärmend ins Gesicht,
vertrieb das gestrige Wintergefühl, und die StraÃe roch wunderbar nach
GroÃstadt. Schwaden aus der Crêperie von der Ecke mischten sich mit dem Benzin
der Autos. Nur das Parfum vorbeieilender Menschen verlieh manchem Augenblick
eine unangenehme Note. Solveigh verstand wieder einmal nicht, welche Nasen sich
derartige Kreationen aussuchen konnten.
Die Allee wirkte auf eine geschäftige Art friedlich.
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