Operation Blackmail
Kaum
vorstellbar, dass in dieser friedlichen Umgebung vor nur vier Tagen der Tod für
Sophie Besson aus dem Nichts aufgetaucht war. Solveigh erschauderte bei dem
Gedanken, was die junge Frau gefühlt haben musste, als ihr Leben einfach so auf
dem Weg zur Arbeit endete. Mit Anfang dreiÃig abberufen, weil ein Fremder an
ihrem Tod verdienen wollte. Warum sie? Darauf würde Sophie nie mehr eine
Antwort bekommen, dachte Solveigh, während sie ihre Laptoptasche schulterte und
auf das Haus mit dem Scharfschützennest zulief. Vor der Tür stand ein
Streifenpolizist, den Dominique direkt und für seine Verhältnisse beinahe
herrisch anging, indem er ihm seinen Ausweis vor die Nase hielt: »Guten Morgen,
ich habe hier eine Kollegin vom Innenministerium, die noch einmal die Wohnung
sehen möchte.«
»Soll mir nur recht sein, hier ist eh tote Hose«, grummelte der
Beamte und trat zur Seite.
Der Hausflur roch muffig. Instinktiv langte Solveigh in die rechte
GesäÃtasche ihrer Jeans und konnte sich gerade noch zurückhalten, keine
Kampferpaste auf die Oberlippe zu streichen, die alles überdeckt hätte.
SchlieÃlich galt es, einen Tatort zu untersuchen, und da konnte sie auf ihren
stärksten Sinn nicht verzichten, Muff hin oder her. Als sie die Treppe in den
vierten Stock hinaufstiegen, knarzte jede Stufe, als hätte sie ihre eigene
Geschichte zu erzählen. Als sie nebeneinander vor der Wohnung standen, wollte
Dominique das schwarz-gelbe Siegel der Gendarmerie aufbrechen, aber Solveigh
hielt ihn energisch zurück und rief zunächst bei Eddy in der Zentrale der ECSB
an, was ihr Verbindungsoffizier zur französischen Polizei mit einem fragenden
Blick quittierte.
»Guten Morgen, Eddy. Ich bin jetzt vor der Wohnung. Hast du ihn
online?«, erkundigte sich Solveigh.
»Hallo, Slang«, begrüÃte Eddy sie. »Ja, er ist da.«
»Entschuldigen Sie, Solveigh, aber was machen Sie da? Ich dachte,
wir wollten uns die Wohnung ansehen«, mischte sich Dominique ein.
»Wartet kurz«, bat Solveigh ihre Gesprächspartner und wandte sich an
ihren französischen Kollegen: »Ich habe nicht einfach nur vor, mir die Wohnung
anzusehen. Ihr habt doch sicher nur das Standardprogramm der Spurensicherung
laufen lassen, oder täusche ich mich? Das hier ist viel besser, wartâs ab.«
Dominique runzelte die Stirn, aber da er nicht antwortete, musste er
wohl zugeben, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Als sie an ihrer
Brille, einem aktuellen Designermodell mit dickem schwarzem Rand,
herumfummelte, bemerkte er: »Haben Sie gestern Kontaktlinsen getragen? Die
Brille ist mir gar nicht aufgefallen.«
Eine gewisse Beobachtungsgabe hatte er schon, das musste sie ihm
lassen: »Nein, ich brauche die Brille nicht, um selbst besser zu sehen, sondern
für die da oben«, antwortete sie und deutete Richtung Decke. In ihrer vermeintlichen
Sehhilfe war eine hochauflösende Kamera verbaut, die sie mit ihren Kollegen bei
der ECSB verband. Und neben Eddy und Will Thater konnte auch ihr externer
Experte für Forensik, Professor Bennett, alles sehen, was ihr vor die Linse
kam. »Dominique, es ist besser, wenn du drauÃen wartest. Ich schätze, ich
brauche eine Stunde. Eddy, ich bin so weit«, signalisierte sie ihre
Bereitschaft.
»Guten Morgen, Agent Lang, lange nichts voneinander gehört«, meldete
sich aus London eine ihr wohlvertraute Stimme.
»Hallo, Professor Bennett«, begrüÃte Solveigh ihren Experten für
Spurensicherung, der an der Universität Oxford lehrte und bei dem sie vor sechs
Jahren ihren Einführungskurs erhalten hatte. Als Ausbilder der Spurensicherung
von Scotland Yard, der Londoner Vorzeige-Polizeitruppe, war seine Kompetenz
über jeden Zweifel erhaben.
»Legen wir los«, drängte Solveigh und zog ein Paar grüne
OP-Gamaschen über ihre StraÃenschuhe, bevor sie schlieÃlich noch Handschuhe aus
Latex überstreifte. Beides diente dazu, den Tatort nicht noch weiter zu
kontaminieren. Zwar war schon eine Herde Polizisten durch das Apartment getrampelt,
aber man musste Schlimmes ja nicht noch schlimmer machen.
»Ich gehe jetzt rein«, begann Solveigh und riss das Polizeisiegel
herunter, das quer über die Wohnungstür geklebt war. Konzentriert arbeitete sie
Zentimeter für Zentimeter den Holzrahmen ab und suchte nach Spuren, die ihnen
wertvolle Hinweise liefern konnten.
»Achten Sie vor
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