Operation Blackmail
gab
Solveigh zurück, während Marcel fieberhaft über eine Strategie nachdachte, um heute
ihre richtige Nummer abzustauben. Sie wirkte auf ihn seltsam anziehend, ohne
dass er es hätte begründen können. Die athletische Figur hatten viele
Kommilitoninnen auch, aber irgendetwas war besonders. Exotisch. Aufregend. Ganz
anders als Linda. Wie schon in den Nächten zuvor, wenn er wach neben seiner
Freundin lag, lieà er das Gespräch im Zug Revue passieren, während er
mechanisch antwortete: »Könnt ihr haben, sind auf meinem Rechner, kommt rein«,
forderte er sie auf und ging voran. Auf dem Weg ins Schlafzimmer mussten sie
über achtlos liegen gelassene Kleidungsstücke hinwegsteigen. Nicht gerade die
beste Visitenkarte. Hätte er geahnt, dass sie auftauchen würde, hätte er
natürlich aufgeräumt. In dem kleinen Schlafzimmer gruppierten sie sich um den
Computer, Sitzplätze Fehlanzeige. Die Rollläden waren heruntergelassen, und der
Bildschirm tauchte ihre Gesichter in schummriges Blau.
Während der Rechner hochfuhr, herrschte irritierendes Schweigen.
Solveigh Lang brach es als Erste: »Hör mal, Marcel. Es tut mir wirklich leid,
das mit der Nummer. Aber ich arbeite in Paris an einem wichtigen Fall, ich
durfte mich nicht ablenken lassen.«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung: »Schwamm drüber. Hier
kommen eure Fotos, alle, die ich geschossen habe.«
»Würden Sie die bitte eins nach dem anderen auf dem groÃen
Bildschirm zeigen?«, bat ihn der schmalbrüstige Beamte.
Klar konnte er: der Kordon aus Polizeiwagen, ein Beamter der
Antiterroreinheit, ein Gaffer, eine schreiende Frau. Ein unscharfes Bild mit
einer Motorhaube im Vordergrund, noch einmal die Motorhaube, ein Polizist mit
einem Maschinengewehr dahinter â¦
Solveigh beugte sich vor, ihr Kopf hing über seiner Schulter, wenige
Zentimeter zu nah, als dass es Zufall hätte sein können. Marcel sah seine
Chancen wachsen. Er spürte ihren Atem, während sie gemeinsam die Bilder durchgingen.
»Einen kleinen Augenblick«, sagte sie. »Kannst du noch mal zurück
auf die beiden mit dem Auto?« Marcel scrollte rückwärts: »Die sind nichts
geworden, leider unscharf.«
»Dominique, siehst du den schwarzen Schatten da im Hintergrund an
der Hauswand?«
»Welchen Schatten?«, fragte Dominique.
»Na hier«, deutete Solveigh auf den Bildschirm, woraufhin Marcels
Arm vorschnellte und sie festhielt. »Bitte nicht auf den Monitor fassen, ja?
Ich hasse Fingerabdrücke«, verlangte er. Sanft, aber bestimmt zog er ihre Hand
weg vom Monitor. Er versuchte, die Hand in Richtung seiner Schulter zu
dirigieren, aber sie fiel nicht darauf rein. Die schlanke Hand wanderte zurück
an ihre Hüfte. Wie bedauerlich.
Solveigh lieà sich nicht beirren: »Siehst du, noch etwas, worüber
wir uns trefflich streiten können. Ich bin Polizistin, und ich liebe
Fingerabdrücke.« Marcel musste lächeln. Sie strahlte zurück. Er schielte zu
ihrem jungen Kollegen, er schien nichts bemerkt zu haben.
»Kannst du diesen Bereich vergröÃern und schärfer stellen, Marcel?«
»Ich probiere es«, seufzte er und klickte mit der Maus in den
Einstellungen seines Bildbearbeitungsprogramms.
»Das ist doch ein Mann mit einer Sporttasche, der Schatten, oder
nicht? Was meinst du, Dominique?«
»Mit viel Phantasie. Kriegt man das noch besser hin?«
»Mit regulären Programmen nicht, aber wir haben jemand bei der ECSB,
der ist ein wahrer Künstler«, meinte Solveigh, »würdest du uns bitte alle
kopieren, Marcel?«
»Ja klar, ist eine CD-ROM in Ordnung?«
»Kopier sie lieber gleich auf mein Telefon, dann können sich die
Jungs dransetzen. Du findest in ein paar Sekunden ein freigegebenes Laufwerk.«
Marcel öffnete das Dateisystem seines Computers und fand tatsächlich
einen Speicherort mit dem mysteriösen Namen: »IâM SORRY, REALLY«. Als er die
Daten kopierte, runzelte er die Stirn. War das ihre Art, sich zu entschuldigen?
Krude, aber er hoffte trotzdem, dass es tatsächlich so war. Dringlicher war
allerdings, dass er heute endlich ihre richtige Nummer bekam. Solch einen
Zufall würde es kein zweites Mal geben. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Solveigh
tippte auf ihrem Telefon herum, der Franzose telefonierte, wahrscheinlich mit
seinem Vorgesetzten, nach seiner Stimmlage zu urteilen. Nachdem er
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