Operation Blackmail
halfen ihm über die Zweifel hinweg,
diese kleinen Zuwendungen. Gezweifelt hatte er nur an den Augen, diesen
schwarzen Perlen, wie aus Glas, gefühllos und eiskalt.
Leonid war als Waise aufgewachsen, in einem Haus mit achtzig
Schicksalsbrüdern, er wusste, was es hieÃ, sein Leben mit den Taten eines
Freundes zu verknüpfen. Sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam unter
die Decke zu kriechen, wenn die Heizung ausfiel. Selbst im Streit. So ein
Freund konnte Mao niemals werden, aber die Aussicht auf eine bessere Zukunft
lieà ihn hoffen, dass er sich täuschte. Ganz sicher irrte er sich. Er war
wieder einmal engstirnig, ja, vielleicht sogar rassistisch. Sahen nicht alle
asiatischen Augen ein wenig aus wie Perlen?
Eine lange Zugfahrt in die Stadt und einen erfrischenden
Spaziergang später stand Leonid in der Nähe des Deutschen Museums auf einer
Brücke über der Isar. Das Wasser floss hier an einem künstlichen Wasserfall
über eine Breite von zwanzig Metern in die Tiefe. Die Gischt brodelte unter
ihm, ein paar Minuten genoss er den kraftvollen Klang der Wassermassen. Er
hatte nicht bei Maos Wohnung vorbeigeschaut. Natürlich nicht. Mao konnte sich
auf ihn verlassen. Für die Zukunft. Sein GPS-Gerät zeigte ihm an, dass er es
nicht mehr weit bis zu seinem Päckchen hatte. Ohne Eile spazierte er über das
Wehr und wandte sich nach Osten. Nach wenigen Minuten durch einen kleinen Park
erreichte er eine weitere FuÃgängerbrücke, die seltsamerweise längs zum Fluss
verlief statt darüber. Er hatte sich immer schon gewundert, was es damit auf
sich hatte. Die gefrorenen Holzplanken knackten unter seinem Gewicht. Aber er
war beinahe am Ziel, bis auf die letzte Ziffer waren die Zahlen schon identisch
mit den ihm von Mao übermittelten. Er schaute sich um: Wo könnte sein Partner
das Paket versteckt haben? Nochmals überprüfte er das Display: 48.163751,
11.592888. Sein Blick wanderte zu dem parallel verlaufenden Uferweg und scannte
die groÃe StraÃenbrücke, die kolonnenweise Autos über den Fluss brachte. Am
linken äuÃeren Pfeiler der steinernen Bogenbrücke befand sich ein kleiner
Lagerraum, der mit einem Gitter gesichert war. Das passte besser zu ihm, dachte
Leonid. Seelenruhig, wie ein Rentner, mit aller Zeit der Welt, schlenderte er
weiter über den Steg, bis zu der Stelle, wo sich Brücke und Uferweg trafen.
Dann lief er in dem Park zurück Richtung Süden, erreichte nach wenigen
Schritten die Böschung mit dem Brückenpfeiler und machte sich an den Aufstieg.
Er musste sich recken, um einen Blick in die dunkle Nische werfen zu können, aber
er wurde belohnt. Er hatte richtig geraten. An die linke Seite gedrückt, lag
ein grob mit Erde bedecktes dunkelgrünes Päckchen. Auf Zehenspitzen balancierte
er das Rund des Pfeilers entlang, bis er das Paket herausziehen konnte.
Notdürftig säuberte er es von der feuchten Erde und stopfte es in seine Jacke.
Ein schneller Blick von rechts nach links: niemand da. Federnd hüpfte er von
der steinernen Mauer und spazierte weiter, als ob nichts gewesen wäre. Der
asphaltierte Uferweg brachte ihn zurück zu der Stelle, wo der künstliche
Wasserfall vom Wehr sprudelte, dahinter St. Lukas mit seinen grünspanbedeckten
Kuppeln. Leonid setzte sich auf eine Parkbank und betrachtete die malerische
Szene mitten in der Millionenstadt. München war ihm während der Monate, die er
hier bei Mao verbracht hatte, ans Herz gewachsen. Wie konnte eine Stadt so
schön sein? In Russland gab es auch den einen oder anderen Prachtbau, aber
wenige Meter davon entfernt fand man zwangsläufig den Verfall. München war
erfrischend, selbst der Fluss wirkte wie von einem begabten Künstler der
Romantik in Szene gesetzt. Doch Leonid hatte keine Zeit, das Stadtbild weiter
zu bewundern, auf ihn warteten wichtigere Aufgaben. Sorgsam entfaltete er das
Paket, das Mao für ihn gepackt hatte. Drei Schichten wasserabweisenden Wachspapiers,
darunter ein schwarzer Karton in Standard-Dokumentenformat. Deutlich gröÃer als
beim letzten Mal, sinnierte Leonid und hob den Deckel der Schachtel. Nachdem er
die Unterlagen durchgesehen hatte, pfiff er durch die Zähne. Was sein Partner
da von ihm verlangte, hatte eine ganz neue Dimension.
KAPITEL 36
Amsterdam, Vondelpark
Tag 6: Samstag, 12. Januar, 15:00 Uhr
Solveigh lief, so schnell sie konnte. Sie keuchte heftig,
das Herz hämmerte mit
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