Operation Cyborg
standen. Auf welche Weise die KI des Cyborgs die Auswahl dieser zum Teil sexy wirkenden Kleidung vorgenommen hatte, erschloß sich Tom nicht. Sie hatte sich sogar Schminkutensilien gekauft und damit ihr Gesicht auf Vordermann gebracht. Und darüberhinaus hatte sie sich einen Zopf geflochten – selbst das konnte sie. Ja, Tom mußte zugeben, sie sah echt gut aus, aber er würde den Teufel tun, und ihr das sagen. Wer weiß, vielleicht würde eine KI auch Arroganz und Selbstverliebtheit lernen. Und das könnte er als allerletztes gebrauchen. Man stelle sich das nur mal vor: Ein Cyborg-It-Girl! Eine Paris Hilton mit Atombatterie! Tom mußte über diesen Gedanken leise kichern.
»Was ist?«, fragte Jazz und sah an sich herunter. »Stimmt die Kleidung nicht?«
»Nein, nein. Die ist schon okay«, sagte Tom.
»Warum siehst du mich dann so seltsam an?«, fragte Jazz mißtrauisch.
»Ach nur so. Wo hast du gelernt, dich zu schminken?«, wollte Tom stattdessen wissen.
»Ich habe in der Kosmetikabteilung eines Kaufhauses eine Verkäuferin dabei beobachtet, wie sie eine Kundin schminkte«, sagte Jazz.
»Und dann erlernst du das einfach?«, fragte Tom verblüfft.
»Ich habe umfangreiche Mimikry-und Analogonfunktionen eingebaut«, antwortete sie. Sie war zwischenzeitlich wieder zum Fenster gegangen und observierte die Straße vor der Pension. Als sie dort nichts verdächtiges erblickte, drehte sie sich wieder zu Tom. »Da S.net nicht die volle Bandbreite der menschlichen Verhaltensweisen replizieren kann, sind diese Funktionen nützlich, um auf Unvorhergesehenes mit Imitationen von A-typischem Verhalten reagieren zu können. Wenn ich neue aber rollengerechte Verhaltensmuster erkenne, kopiere ich sie um mein Erscheinungsbild zu perfektionieren.«
»Also zum Beispiel, sich wie eine Frau zu schminken und zu frisieren, weil du eine weibliche Außenhülle hast?«, meinte Tom, der auf dem Stuhl am Beistelltisch Platz genommen hatte. Jazz nickte.
»Hmm«, grübelte Tom. »Mich verwundert, daß du vieles kannst und weißt, aber trotzdem manchmal völlig ahnungslos bist. Mit solchen Schwächen im Sozialverhalten und der Umgangssprache eckt ihr Cyborgs doch überall an. Ist das nicht hinderlich für die Missionen auf die ihr geschickt werdet?«
»Du vergißt, daß meine Datenbank beschädigt wurde und es nun einige Lücken in den virtuellen Logicframes gibt, die erst wieder gefüllt werden müssen. Außerdem ist das Wissen von S.net über die Jahre vor 2011 nicht vollständig, was sich ebenso auf mein Verhalten auswirkt. Bedenke auch, daß es für meine ursprüngliche Mission egal war, ob ich – wie du es nennst – anecke. Aber du hast insofern recht, als daß mir Dinge wie Ironie, Sarkasmus und Metaphorik schwer fallen.«
»Um nur ein paar Beispiele zu nennen«, ergänzte Tom. »Schön. Natürlich ist die Sache mit der Zeitreise eine äußerst extreme Situation. Und richtig, das Anecken kann dir im Prinzip egal sein, wenn es um einen reinen Terminierungsauftrag geht. Aber wie verhält es sich zum Beispiel bei Infiltrationsmissionen, etwa im Jahr 2024, wenn du verstehst was ich meine?«
»Ich verstehe deine Frage. Dich interessiert meine Funktionsweise«, sagte Jazz und lächelte, so als gefalle ihr Toms Interesse. »Ich kann dir die Komplexität meiner KI nicht erklären, so wenig wie du in der Lage wärst, die Funktionsweise deines Gehirns darzustellen«, fuhr sie fort.
Okay, der Punkt geht an sie, dachte Tom und wartete, daß Jazz weitere Erklärungen folgen ließ.
»Vereinfacht ausgedrückt, werden sämtliche Grundfunktionen über Daemons gesteuert«, erklärte Jazz. Tom nickte. Er hatte sich bereits gedacht, daß ein komplexes Dienstesystem hinter ihrer KI steckte. »Die Daemons können dabei frei miteinander kombiniert werden«, fuhr sie fort, »und auch untereinander interagieren. Die Kombinationen können äußerst komplexe Ketten an Diensten sein, die temporär oder dauerhaft neue Deamons bilden. Bewegungen, Auftreten, rollengerechte Interpretationen – Aktion und Reaktion – all dies wird durch die Daemons, oder durch Kombination von Deamons gesteuert. Die Verarbeitung der Threads erfolgt dabei multisynchron. Eng mit den Daemons verknüpft ist eine umfangreiche morphologische Datenbank für die Sprach-und Kognitionssysteme. Es handelt sich dabei um eine Art Wissens-und Expertensystem, wie man es heutzutage bezeichnen würde. Das Wissen wird frei modifizierbar in kombinatorischen 'Cross Frames' abgelegt, die
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