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Operation Glueckskeks

Titel: Operation Glueckskeks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: York Pijahn
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schon wieder
schwanger, oder beides. Sie und ihre ehemals beste Freundin Nicole diskutierten, wer an den anderen Tischen dicker geworden war oder sich auf eine mutige Haarfarbe eingelassen hatte.
    Fazit: Alle hatten zugenommen, die mit Kindern waren auf die ohne ein bisschen neidisch und umgekehrt.
    Die nächste halbe Stunde hatte Christoph als »Dicke-Hose-Phase« angekündigt. Jeder erzählte, wo er arbeitet, wie erfolgreich er ist, welche Instrumente die Kinder spielen. Beruhigend: Aus niemandem war was beängstigend Tolles geworden. Die Missgunst, die alle schussbereit mitgebracht hatten, wurde wieder weggesteckt. Ich begann mich zu entspannen. Wenn jemand gerufen hätte, dass morgen »Franze« ausfällt, hätte ich reflexartig gejubelt.
    Alle hatten sich verändert? Nein, niemand. Die Physik-Leistungskurs-Typen, deren Haare von ihren Müttern geschnitten wurden, ließen das jetzt vermutlich von ihrer Frau erledigen. Die Schüchternen waren immer noch schüchtern, die Klassenclowns albern. Es gab noch ein Bier und noch eins und noch eins. Und dann stand sie vor mir: Kerstin Birkeling, die Frau, in die viele damals verliebt waren. Sie sah nicht gut aus; sie sah super aus, hatte zwei Kinder und - Schräglage. »Die Sache ist doch die«, ein glasiger Blick kam auf mir zur Ruhe. Ein ausgestreckter Zeigefinger durchrührte die Luft. »Man merkt, wie sehr man die meisten immer noch mag«, sagte Kerstin. »Und man bekommt zu den Erinnerungen noch sein Leben von heute obendrauf. Man macht also Plus.« Sie
legte eine Kunstpause ein und deutete mit dem Finger auf mich. »Geile Geheimratsecken übrigens.«
    Ich habe immer schon einen Hang zu Kalenderspruchweisheiten, und das Pathos des Moments erledigte den Rest. Ja, man macht Plus. Nichts war verloren, man hatte mehr als vorher, wenn auch nicht auf dem Kopf. Als ich um halb vier mit Christoph zum Taxistand ging, stand der Mond über Bielefeld. Wir waren wieder verknallt in Kerstin. Es war traurig, es war herrlich. Von fern hörte man ein Auto, es klang wie mein altes Mofa. Hush, hush, eye to eye.

Galerie der Angst: Der Vernissagen-Feigling
    I ch habe einen räudigen Kunstgeschmack. In meinem Kinderzimmer hing ein Gemälde eines weinenden Pierrots. Er kraulte einem Einhorn die Nase und sah dabei so traurig aus, als sei sein Leben so amüsant wie ein Glas Wurstwasser. Im Hintergrund war ein dicker Vollmond zu sehen. Später kamen weichgezeichnete Fantasy-Landschaften hinzu: türkisfarbene Berge, Bäume, Seen. Bei meinem Lieblings-Gemüsetürken hängt hinter der Schafskäsetheke so eine Landschaft, und ich gucke sie mir immer gern an.
    Trotzdem ist mir dieser miese Kunstgeschmack peinlich. Deshalb gehe ich jetzt mit meiner Freundin Silke zu Vernissagen - und habe Angst, von echten Kunstliebhabern enttarnt zu werden. In meinem Vernissagen-Albtraum ruft jemand: »Hey, der mit der großen Nase da hinten! Der hat keine Ahnung, bei dem hingen früher Pierrot-Poster an der Wand!«
    Vernissagen-Feiglinge wie ich gehen auf Nummer sicher - sie ziehen sich nicht an. Sie verkleiden sich. Ich trage einen schwarzen Cordanzug und meine Hornbrille, mit der ich aussehe wie eine Kreuzung aus einem deutschen Raketeningenieur aus den 30ern und einem ägyptischen Diktator.

    Letzten Samstag war es wieder so weit: Vernissage in einem Hamburger Hinterhof. Prosecco, zwei DJs mit Pelzmützen, die alte Madonna-Songs mit Polka mixten, was sehr gut klang. Ich stand vor einer vibrierenden schwarzen Gummifußmatte. Sie schnurrte wie eine Katze, die einen Vibrator verschluckt hatte, und trug den schönen Namen »Porno 1000«. Ich war ratlos, durfte man das anfassen? Sollte man sich draufsetzen?
    Illu. 27

    Vernissagen-Feiglinge wie ich sind leicht zu verunsichern. Wenn sie Kunst nicht verstehen oder von ihr nicht berührt werden, glau-I ben sie: Ich bin zu doof. Ich komme aus Bielefeld, ich hätte den Schweinemastbetrieb der Eltern übernehmen oder einfach im Bett bleiben sollen. Außerdem sind Vernissagen-Feiglinge neidisch. Auf alle, die auf Vernissagen echten Spaß haben. Auf Leute wie meine Freundin Silke. Sie trinkt Weißwein, futtert Salzstangen in Krankenhausmengen und lacht über die Kunststudentinnen mit ihren schmerzhaft engen Jeans und den komplizierten Umhängetaschen. Sie hat auf Vernissagen das zufriedene Gesicht eines Babys, dem man auf dem Wickeltisch
den Po föhnt. Sie hat kein Problem, Sätze zu sagen wie: »So ein Schrott, das hätte ich auch selber machen können.« Oder: »Mag ich

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