Operation Glueckskeks
Holger!« Ja. Was soll ich sagen: Im großen Buch des Lebens sollte es ein Kapitel geben mit der Überschrift »Niemals Witze über die noch nicht ausgesuchten Namen von ungeborenen Kindern von völlig fremden Leuten machen«. Meine Namensvorschläge kamen in etwa so gut an, als hätte ich empfohlen, einen Korb mit Hundewelpen in einem Hochofen zu verfeuern.
Es gibt zu meiner Ehrenrettung eigentlich nix zu sagen. Außer dass ich hätte ahnen müssen, dass Holger so humorlos
reagiert. Denn die Holgers dieser Welt sind so. Das belegt eine Studie der Universität Chemnitz, für die 150 Testpersonen befragt wurden, was für Charaktereigenschaften sie mit den 60 gebräuchlichsten deutschen Vornamen verbinden. Die Holgers dieser Welt sind demnach: alt, hässlich und schwer von Begriff. Schlimmer haben es nur die Dirks und Heikes, Olafs, Silkes und Kerstins erwischt, die durch die Bank als alt, hässlich und richtig doof gelten. Da das Leben zumindest aus der Vogelperspektive dann doch gerecht ist und sich Großmäuligkeit nie auszahlt, bekam meine Freundin vorgestern Post. Von Holger und Frau. Das Kind ist da. Auf der Karte sieht man ein zugegebenermaßen unfassbar süßes Baby, das Henriette heißt. Drunter steht: »Wir sind überglücklich. Ach ja: und Grüße an Deinen Freund, den Jörg.«
Frauengedächtnis: Die Gestapo unterm Schädeldach
I ch habe im November 2008 folgende Sätze gesagt: »Ich finde, der neue Rock sieht an dir aus, als wärst du ein Background-Girl bei Dschinghis Khan.« Im Sommerurlaub 2009 in Südfrankreich dann dieser Satz, ich zitiere: »Deine Cousine Coralie hat wirklich superlange Beine, die könnte modeln, findest du nicht?«
Ich kann mich an beides nicht mehr erinnern. Wirklich nicht. Ich weiß zwar, dass wir im Urlaub waren. Und ich weiß auch, dass meine Freundin so einen blumigen Ethno-Rock besitzt, für den man bestimmt auf Zigeuner-Beerdigungen den Fashion-Oscar gewinnt. Meine Freundin aber kann sich an alles erinnern, was ich gesagt habe, jeden Satz. Den Wortlaut. Die Zeit. Wie ist das möglich?
Ich habe mir darüber wirklich Gedanken gemacht und eine Theorie, die so einiges erklärt, was zwischen uns schiefläuft: Meine Freundin ist in ihrem Kopf nicht alleine. Folgen Sie mir auf eine Reise in Richtung des Gehirns meiner Freundin, bitte anschnallen. Hinter ihrer Stirn kommt eine Art Blubberzone, in der ein paar Chemikalien dahinfließen, roter Biobuch-Kram, wie man ihn aus Horrorfilmen kennt. Und
dann kann man sie bereits hören. Tack. Hören Sie das? Tack-Tacki-Tack-Tack. In einer durchsichtigen Ausbeulung des Gehirns, in einer Art Blase arbeitet sie: die Gestapo-Sekretärin.
Die Gestapo-Sekretärin sitzt im funzeligen Licht einer Energiesparbirne an einer mechanischen Schreibmaschine und tippt alles mit, was ich sage. Sie hat einen blonden Dutt, trägt eine gestärkte weiße Bluse und ist strenger als eine tschechische Eiskunstlauf-Trainerin. Dank ihr hat meine Freundin das perfekte Gedächtnis.
Lügner. Oder Schleimer. Ich sitze in der Falle - aber anscheinend noch nicht tief genug.
Und so kommt es zu Situationen wie dieser, Samstagabend, halb neun, Vorhang auf: Meine Freundin und ich ziehen uns für eine Geburtstagsparty an, ich höre, wie der Fön im Bad ausgeht und sie mir entgegenkommt, geduscht, geschminkt - in einem schwarz-bunten Blümchenrock. Ich: »Wow, du siehst toll aus.« Pause. Immer noch Pause. Hier läuft gerade etwas schief. Sie: »Du hast gesagt, dass du diesen Rock beknackt findest.« Upps. Beknackt ist erst mal ein etwas übermotorisiertes Wort, vor allem weil ja eben noch die Atmosphäre so beschwingt war wie in einem Parship-Werbespot. Ich: »Beknackt?« Im Kopf meiner Freundin greift die Gestapo-Sekretärin zu Leitz-Ordner Nummer 3857 und liest vor: »Du hast gesagt, ich sehe damit aus wie eine Tussie,
die bei Dschinghis Khan singt.« Die Gestapo-Sekretärin hat mich im Schraubstock. Entweder habe ich damals gelogen, als ich den Rock doof fand - oder heute, als ich den Rock gelobt habe. Lügner. Oder Schleimer. Ich sitze in der Falle - aber anscheinend noch nicht tief genug.
Denn ich berausche mich im Nachhinein gern an den irgendwann etwas zu lässig hingeworfenen Sätzen - an die ich mich kurz danach schon nicht mehr genau erinnern kann. Ich weiß, dass jetzt der Moment gekommen wäre, einfach mal den Mund zu halten. Aber es geht nicht, der Teufel reitet mich, und er reitet mich lachend Richtung Hölle. »Echt, das habe ich gesagt, Dschinghis Khan,
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