Operation Glueckskeks
begriffsstutzig und ich ziemlich aggressiv und genervt rüberkomme, habe ich in meinem Leben schon sehr, sehr oft geführt. York, nicht Jörg, York, nicht Jörg, ich kann das im Schlaf sagen. Manchmal stelle ich mir vor, wie meine Eltern sich meinen Namen ausgedacht haben. 1973: Im Fernsehen läuft der Abspann von »Was bin ich?«, meine Eltern trinken ein Glas Kellergeister, knabbern Toast Hawaii, und mein Vater sagt zu meiner Mutter mit vollem Mund: »Komm, Helga, wir geben ihm einen richtig komplizierten Namen, dann hat er gleich was zu erzählen, dann ist er gleich mit den Leuten im
Gespräch. Er wird dann ein richtiges Kommunikationsgenie. Prost!« So, so. Oder er erschießt sich vor Scham mit einer abgesägten Schrotflinte, sobald er eine halten kann.
Mein Nachbar hat seinen Sohn Esteban genannt. Das klingt nach unausgelebten Fantasien der Eltern.
Sie merken schon: Mein Verhältnis zu Vornamen ist nicht ganz unbelastet, und die Atmosphäre ist von Gewaltfantasien bestimmt. Mal ehrlich, was geht in Eltern vor, die ihren Kindern Buchstabier-Namen geben? »Clint« oder »Bo-Devin« oder Tyroon? Warum den Kids nicht gleich eine DDR-Flagge auf die Stirn tätowieren? Auch das wäre doch ein super Anknüpfungspunkt für Gespräche. Mein Nachbar hat seinen Sohn gerade Esteban genannt. Esteban Kozikowsky. Das klingt nach unausgelebten Fantasien der Eltern, nach Restwünschen für die eigene Biografie, die dann im Namen der Kinder ausgetobt werden, nach einem Star der Pornoszene, der nebenher einen Schrottplatz betreibt. Licht aus, Spot an, meine Damen, nicht mit Wäsche werfen, hier kommt Esteban Kozikowsky aus Brake Bielefeld. Der Junge wird sein Leben lang seinen Namen buchstabieren müssen, Lebenszeit, die er zum Waleretten oder für Volkshochschulkurse nützen könnte. Sollte er je einer geregelten Arbeit nachgehen, dann wird Esteban Kozikowsky sicher so einer, der »zum Bleistift« statt
»zum Beispiel« sagt und sich mit einem »Ciao Schesku!« abends im Büro verabschiedet und das originell und witzig findet. Die Kollegen lächeln dann immer gequält und hoffen mit ganzer Kraft, dass Esteban auf seinem Liegerad in die Straßenbahnschienen rutscht.
Puh. Jetzt geht es mir besser. Ich bin mir schon bewusst, dass ich »gerade mal wieder total abgehe«, wie es meine Freundin sagt, wenn wir auf das Thema Vornamen kommen. »So wie bei der Hochzeit von Stefan und Mareike.« Ich erinnere mich an diese Hochzeit, die vor drei Monaten stattfand, wie an einen Film in quietschigen Farben, grobkörnig, verwackelte Bilder. Die Feier fand im Sommer in Berlin statt, eingeladen waren lustige Mittdreißiger: die Männer mit Bärten, spitzen Schuhen und großen 70er-Jahre-Sonnenbrillen, die Frauen mit bunten Kleidern aus dem Secondhandshop, junge optimistische Großstadtmütter mit Rockabilly-Tätowierungen. Die Gäste kamen auf Klapprädern zur Hochzeit und hatten Luftballons dabei. Es wurde geraucht, getrunken, getanzt, als gäb’s kein Morgen. Es war auf diese resterampige Art schön, wie es im Sommer in Berlin schön ist. Gefeiert wurde auf der Dachterrasse einer WG.
Meine Freundin und ich standen neben Holger und Sabine, einem Paar, mit dem meine Freundin seit Jahren befreundet ist, und sie erzählten, dass sie bald ein Kind bekämen: Sabine hatte schon zwei (DEN Pablo und DEN Ronny), von zwei verschiedenen Männern (DEM Carlos und DEM Steve). Das weckte in Holger, ihrem neuen Freund, den Wunsch,
durch den Kindsnamen »ein bisschen das Territorium abzustecken«, wie er mir im Bad verriet. Wir standen nebeneinander vor der mit Eiswürfeln gefüllten Wanne und versuchten, zwei Flaschen koreanisches Bier aus dem schmelzenden Matsch zu fischen. »Ich will, dass der Name mit »H« anfängt, so wie meiner, so wie Holger. Ich will, dass was von mir bleibt, ein kleiner Schritt Richtung Unsterblichkeit.« Den Gedanken hatte ich schon oft von Männern und noch nie von einer Frau gehört. Auf der Namensliste standen bisher Hadrian, Herkules, Hariolf und Hektor, was sich ein bisschen wie die Besetzung für das Remake von Gladiator anhörte. »Welchen findest du am besten?«, fragte mich Holger, als wir zum Klang von wuseliger Soulmusik zurück auf die Dachterrasse schlenderten.
»Wie wäre es mit Handreas?« Ich ließ den Witz kurz im Raum schweben, um gleich nachzulegen: »Oder Hfrank, oder Hpaul?« Der Gedanke begann mir Spaß zu machen. »Oder es wird ein Mädchen, und ihr bekommt eine kleine Hsilke oder H-Olga, klingt fasst wie
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