Operation Ocean Emerald
eingenommen, in dessen Mitte sich ein runder Deckel befand. Aaro hatte versucht, den Deckel zu öffnen, aber er ließ sich nicht bewegen.
Jetzt versuchte er es erneut, aber der Deckel rührte sich weiterhin nicht vom Fleck. Aaro sah sich die Ränder genauer an und stellte fest, dass zwei gebogene Nägel die runde Holzscheibe festhielten. Mit den Fingern würde er die nicht gerade biegen können.
Seine Gefängniszelle war nichts anderes als ein mittelalterlicher Abort. »Das alte Badezimmer«, hatte Delacroix gesagt; das sollte wohl eine witzige Bezeichnung für das Klo sein, das an der Außenwand des Gebäudes angebracht war. Als er mit seinen Eltern einmal von Genf aus zum Château de Chillon in der Nähe von Montreux gefahren war, hatte Aaro so etwas gesehen. Damals hatte ihm sein Vater erzählt, wie der schwedischen König Gustav Wasa durch den Abort vor seinen dänischen Verfolgern geflohen war.
Der Gedanke an seinen Vater schnürte Aaro die Kehle zu. Mit Sicherheit war das Flugzeug bereits abgestürzt und die Eltern glaubten, Aaro wäre tot. Sie würden doch deswegen nicht die Suche nach ihm aufgeben?
Nein. Sein Vater war zäh – in jeder Hinsicht. Auch in Chillon hatte Aaro bald keine Lust mehr gehabt, sich die ganzen Geschichten über Herzöge und Grafen und deren Streitereien anzuhören, aber seinem Vater war es gelungen, die faszinierendsten Aspekte ans Tageslicht zu bringen. Das Leben im Mittelalter war allerdings so grausam und brutal gewesen, dass man sich nur wundern konnte, warum der Vater so einen Widerwillen gegen die Gewalt in modernen Filmen kultivierte.
Aaro überdachte seine Lage. Er hatte nichts zur Hand, womit er die Nägel am Rand des Deckels herausziehen oder gerade biegen konnte. Er kratzte sich im Nacken. Dabei berührte er mit dem Finger das Lederband von Rositas Amulett. Und im selben Moment riss er sich das Schmuckstück vom Hals.
Er schob den flachen Metallrand des Amuletts unter einen der rostigen Nägel und versuchte, ihn als Hebel zu verwenden, wobei er sich fragte, was von beiden als Erstes nachgeben würde. Der Nagel bog sich, dann sprang ein Stück vom Amulett ab. Es war schade, es zu beschädigen, aber jetzt ging es um Leben und Tod.
Aaro schob die unbeschädigte Seite des Amuletts unter den Nagel und versuchte es erneut. So vorsichtig wie möglich bog er den Nagel nach oben, ständig in der Angst, es könnte das Gleiche passieren wie zuvor.
Aber zu seiner Erleichterung löste sich nun der Nagel so weit aus dem Holz, dass Aaro den Finger darunterschieben und ihn zur Seite drehen konnte. Beim zweiten Nagel auf der gegenüberliegenden Seite des Deckels funktionierte es ebenso.
Nun ließ sich der Deckel entfernen und darunter tat sich ein schwindelerregender Blick ins Morgengrauen auf, ein Steilhang von zig Metern, der sich in der Schlucht unterhalb der Fundamente der Burg fortsetzte. Kein Wunder, dass man sich keine Mühe gegeben hatte, den Deckel massiver zu verschließen. Gustav Wasa hatte bei seiner Flucht vielleicht ein Geruchshandicap gehabt, aber Aaro würde am Felsen zerschmettert werden.
Er schloss den Deckel und setzte sich noch ängstlicher als zuvor daneben. Der einzige Weg nach draußen war die Tür. Aber davor waren die Entführer und moderne Überwachungstechnik.
In der Morgendämmerung wurde der Betrieb auf dem Zürcher Flughafen Kloten allmählich lebhafter. In gleichmäßigen Abständen drang das Donnern der startenden Maschinen an Timos Ohren.
Er schaute auf die Karte, auf der die Flugroute der Entführer eingezeichnet war. Sie überquerte die Schweiz längs der Alpenkette. Timos Aufmerksamkeit lag bei einem Kreis, der unweit der Schweizer Grenze um das französische Dijon gezogen worden war. Diese Stadt war der zuletzt gemeldete Wohnort von Delacroix gewesen.
Andererseits deutete auch die Herkunft von Juliette du Pont auf Frankreich hin, wie immer die Frau auch in Wirklichkeit heißen mochte.
Zum wer weiß wievielten Mal las Timo das Material durch, das die französische Polizei und Interpol über Delacroix hatten. Der Mann war ein Berufsverbrecher, der sich zu Beginn seiner Laufbahn mehrerer bewaffneter Banküberfälle schuldig gemacht hatte, mit den Jahren jedoch zum Kunstraub und schließlich zum internationalen Kunsthandel übergegangen war.
Bei seinen Kunstdiebstählen hatte Delacroix mehr den Verstand und Spitzentechnologie eingesetzt als Gewalt. Mit anderen Worten: Der Mann vereinigte in sich Härte und eine gewisse Feinsinnigkeit. Das
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