Operation Overkill
der westlichen Welt immer größeren Wert darauf, jeden, der Zugang zu geheimen Unterlagen hatte, gründlich zu überprüfen und zu durch-leuchten.
Die Briten zeichneten sich auf diesem Gebiet nicht unbedingt aus. Das Versagen ihrer Dienste lässt sich weitestgehend auf den geradezu bedingungslosen Glauben an alte Schulfreundschaften zurückführen.
Selbst wenn jedem, der auch nur halbwegs Augen im Kopf hatte, auffiel, dass dieser oder jener Mann ein Gewohnheitssäufer war, ein bekennender Schwuler, der einen Freund namens Boris oder Iwan hatte, und eventuell sogar eingeschriebenes Mitglied der Kommunistischen Partei, sah man darüber hinweg, weil der gemeinsame Schulbesuch in Winchester oder Cambridge schwerer wog als alle anderen Hinweise.
Einige Jahre lang hatte man sogar fast den Eindruck, 356
dass gewisse sexuelle Neigungen und ein Hang zum Stalinismus die einzigen Voraussetzungen für eine Aufnahme in den erhabenen Kreis der geheimen Dienste waren.
Irgendwann legte man eher trotz als wegen dieser Gepflogenheiten mehr Wert auf eine genauere Überprüfung. Dadurch entstand ein neuer Beruf im sicher-heitsrelevanten Bereich – der »Screener« oder »Durchleuchter«, wie er allgemein genannt wird. Screener sind für gewöhnlich ehemalige Offiziere, die einen halbwegs hohen Rang innehaben und gewisse Kenntnisse in Sachen Nachforschung vorweisen können. Ih-re Aufgabe besteht darin, dass sie sich sämtliche Personalakten vornehmen, die auf ihrem Schreibtisch landen, und jeden einzelnen Punkt, auf den es ankommt, überprüfen, gegenchecken und noch einmal nachprüfen.
Es gibt zwei verschiedene Arten von Sicherheitschecks, je nachdem, für welchen Aufgabenbereich man vorgesehen ist. Für gewöhnlich begnügt man sich mit einer Negativen Überprüfung, die im Geheimen erfolgt. Dabei überzeugt sich der Screener lediglich davon, dass alle Angaben richtig sind, indem er die Geburts- und Heiratsurkunden überprüft, in den Schulakten nachschlägt, die unmittelbare Verwandt-schaft durchleuchtet und sich davon überzeugt, dass keinerlei schwer wiegende Verfehlungen vorliegen, zum Beispiel ein Onkel, der Bezirkssekretär der Kommunistischen Partei ist. Jeder Offizier bei den Streitkräften muss sich einer Negativen Überprüfung 357
unterziehen, desgleichen alle anderen Geheimnisträ-
ger.
Einer Positiven Überprüfung wird jeder unterzogen, der Zugang zu streng geheimen Unterlagen hat –
Material, das mit »Top Secret«, »Atomic Secret« oder
»Cosmic Top Secret« oder irgendeiner anderen von insgesamt dreißig höheren Geheimhaltungsstufen gekennzeichnet ist. Sie fängt mehr oder weniger da an, wo die Negative Überprüfung aufhört. Dabei kommt es vor allem auf die Kooperationsbereitschaft des zu Überprüfenden an, dessen ganzes Leben genauestens ausgeforscht wird, buchstäblich von der Zeugung bis zu dem Tag, an dem die Überprüfung beginnt. Man erkundigt sich eingehend bei Verwandten und Freunden, spricht bei früheren Arbeitgebern vor und nimmt sogar das Sexualleben des Betroffenen unter die Lupe.
Diese Überprüfung ist gründlich, sie dauert eine ganze Weile und ist ziemlich unangenehm. Aber sie er-füllt ihren Zweck, und das ist das Ausschlaggebende.
Allerdings werden auch manche wissenschaftlichen Berater, die von der Regierung mit streng geheimen Projekten betraut werden, nur einer Negativen Überprüfung unterzogen. Man begründet das damit, dass diese Berater nur einen begrenzten Einblick bekämen, sodass eine gründliche Durchleuchtung nicht erforderlich sei. Wahrscheinlich ahnte man, dass es zu einem großen Zeter und Mordio wegen gewisser Verstöße gegen die bürgerlichen Grundrechte kommen würde, wenn man Wissenschaftler einer Positiven Überprüfung unterzog, und nahm davon Abstand, 358
weil der ganze Aufwand den Ärger nicht wert war.
Deshalb wird dieser Sicherheitscheck nur durchgeführt, wenn es unbedingt notwendig ist.
Richter trat durch die offene Doppeltür und ging zu einem verglasten Kabuff mit der Aufschrift »Portier«.
Aber dort saß niemand. An der Wand neben der Treppe hing eine Tafel, auf der alle in dem Gebäude beschäftigten Wissenschaftler und Verwaltungskräfte aufgelistet waren. Richter überflog sie rasch, bis er auf »Professor Hillsworth« stieß, dessen Labor im dritten Stock war. Er stieg die Treppe empor, die sich in der Mitte des Gebäudes befand und von der zu beiden Seiten lange Korridore abzweigten. Im dritten Stock angekommen, überlegte er kurz und
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