Operation Overkill
Sämtliche Zimmer im ersten Stock sind mit Fotozellen ausgestattet, die in Reihe geschaltet sind. Wenn man ein Fenster von innen öffnet, unterbricht man nur einen Strahl, wodurch der zweite Strahl, der sich unmittelbar vor dem Fenster befindet, ausgeschaltet wird. Aber wenn man von außen einsteigt, unterbricht man den zweiten Strahl zuerst und löst den Alarm aus. Unten im Salon befindet sich die Hauptkonsole der Alarmanlage, in den drei großen Schlafzimmern hier oben sind Relais angebracht.«
Richter konnte sich gut vorstellen, wem diese 408
Schlafzimmer gehörten. Orlow deutete auf die Wand über dem Schreibtisch, und dort sah Richter einen kleinen, viereckigen grauen Kasten, an dem ein winziges rotes Licht blinkte. »Sehr schlau, Wladimir«, sagte er. »Was haben Sie sonst noch zu Weihnachten bekommen?«
Zum ersten Mal wirkte der Russe ungehalten. »Ich empfehle Ihnen, von derartigen Bemerkungen Abstand zu nehmen, Richter. Juri wird Ihnen in Kürze das Leben sehr schwer machen. Aber wie schwer er es Ihnen machen wird, hängt weitgehend davon ab, wie Sie sich hier benehmen. Regel Nummer eins lautet: Ärgern Sie mich nicht.« Er hielt inne. »Was ich von Ihnen erfahren möchte, Richter, ist, wie viel Sie und Ihr Dienst wissen.«
»Über was?«, fragte Richter.
Orlows Lächeln verschwand. »Verarschen Sie mich nicht. Sie wissen ganz genau, wovon ich rede.« Er gab Juri ein Zeichen, worauf dieser aufstand und sich vor Richter aufbaute. »Ich frage Sie noch einmal. Wie viel wissen Sie?«
»Ich weiß nicht, was Sie –«
Richter sah es kommen, aber er konnte nichts dagegen tun. Juris Faust traf ihn an der linken Gesichts-hälfte. Richter sah einen Moment lang Sterne, dann hatte er Blutgeschmack im Mund. Sein Gesicht fühlte sich taub an – der Schmerz würde später einsetzen.
Juri belastete das andere Bein und verpasste ihm einen Schlag an die rechte Seite.
Nichts sagen, lautet Regel Nummer eins, wenn man 409
verhört wird. Das mag banal klingen, aber es emp-fiehlt sich unbedingt. Sobald man demjenigen, der einen vernimmt, etwas erzählt, kann er darauf aufbauen, und wenn er sein Handwerk versteht, kann er einen derart durcheinander bringen, dass man nicht mehr weiß, was man ihm gesagt hat, wie viel er bereits weiß und inwiefern er nur rät. Und wenn man erst einmal so weit ist, gibt es nichts mehr zu retten.
Orlow kannte die Regeln ebenso gut wie Richter.
Der wiederum war sich darüber im Klaren, dass er bestenfalls versuchen konnte, sie so weit wie möglich in die Irre zu führen, und sich zudem ständig gewahr sein musste, dass sie ihn ohnehin umbringen würden.
Leider würde das sehr schmerzhaft werden, denn bevor er ihnen einen Bären aufbinden konnte, musste er sich von Juri »überzeugen« lassen. An Orlows Stelle wäre er jedenfalls sehr argwöhnisch, wenn jemand zu schnell klein beigab.
»Noch einmal, Richter. Sagen Sie mir, was Sie wissen.«
Richter schüttelte den Kopf. Juri lächelte wieder, und Richter wurde klar, dass für ihn der Spaß erst richtig anfing. Richters Kopf flog hin und her, als ihn zwei weitere Schläge trafen. Die Sterne vor seinen Augen wurden heller. Auch wenn es im Kino anders aussieht, der Mensch kann nur eine begrenzte Anzahl schwerer Kopftreffer einstecken, bevor er bewusstlos wird. Juri war groß und kräftig, und Richter spürte, wie ihm allmählich die Sinne schwanden.
Er nahm kaum wahr, wie jemand seine Hände 410
packte und an den Stuhl band. Dann wurde es richtig ernst. Nach dem fünften oder sechsten Schlag zählte er nicht mehr mit und bemühte sich nur noch darum, halbwegs wach zu bleiben. Als Juri auf einen scharfen Befehl von Orlow hin endlich aufhörte, ließ sich Richter vornübersacken und stellte sich tot. Es fiel ihm nicht schwer. Jemand packte ihn an den Haaren und zerrte seinen Kopf zurück. »Er ist nicht mehr bei sich.
Soll ich ihn aufwecken?«
»Lass ihn ein paar Minuten in Ruhe. Ich bezweifle«, fügte Orlow kichernd hinzu, »dass ihn ein paar Klap-se auf die Wange wieder zur Besinnung bringen. In meinem Badezimmerschrank ist Riechsalz, im untersten Fach. Hol es. Ach, und bring ein paar Handtücher mit und leg sie auf den Teppich. Er blutet ziemlich heftig.« Richters Gesicht fühlte sich nach wie vor so taub an, dass er das Blut nicht spüren konnte, das ihm über die Wangen rann, aber er konnte es schmecken.
Er fragte sich einen Moment lang, in welchem Zustand seine Kleidung sein mochte.
Als die Handtücher dort lagen, wo Orlow
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