Operation Overkill
eine Kernwaffe mit hoher Sprengkraft, aber nur geringer Strahlung entwickelt haben. Was letztlich auf eine strategische Neutronenbombe hinausläuft.«
»Ich begreife bloß nicht«, sagte Westwood bedächtig, »was sie damit wollen.«
Muldoon schaute ihn an. »Komisch, aber genau das habe ich mich auch gefragt.«
»Ich glaube, ich komme nicht ganz mit«, warf Hughes ein.
Westwood beugte sich vor. »Denken Sie doch mal darüber nach«, sagte er. »Das Gleichgewicht des Schreckens beruhte darauf, dass die Sowjets im Falle eines Angriffs durch unseren Gegenschlag unerträgliche Verluste erleiden würden – und umgekehrt. Beide Seiten hätten nichts zu gewinnen, sodass es sinnlos wäre, einen Erstschlag zu führen.« Er deutete auf die 183
Meldung, die Hughes noch immer in der Hand hatte.
»Das hier ergibt einfach keinen Sinn. Die Sprengkraft dieser Waffe ist deutlich höher als die unserer Neutronenbomben, aber die waren immer als taktische Waffen für den Einsatz auf dem Schlachtfeld gedacht, nicht als strategische Waffen. Die Gefahr, die von Kernwaffen ausgeht, beruht auf der Zerstörungskraft der Explosion wie auch auf den Auswirkungen des Fallout, der Strahlung. Wenn die Radioaktivität wegfällt, hat die Waffe nur noch die halbe Vernichtungs-kraft. Und das«, fügte er hinzu, »kommt eigentlich dem Gegner zugute – uns.«
»Das müssen Sie mir genauer erklären«, sagte Hughes.
»Gut. Nehmen wir mal an, dieser Waffentest diente nur zu Demonstrationszwecken – immerhin war in der letzten Nachricht von RAVEN von einer Demonstration die Rede, also hat er sich vielleicht darauf bezogen –, und sie haben tatsächlich eine Waffe mit hoher Sprengkraft und geringer Strahlung entwickelt.
Wenn die Russen nun derartige Waffen besäßen und damit die Vereinigten Staaten angriffen, würden durch die Explosionen gewaltige Schäden angerichtet.
Wir würden ganze Städte verlieren, und ein Großteil unserer Bürger würde umkommen, aber nur – und das ist das Entscheidende – infolge der Explosionen und des massiven, aber kurzfristigen Neutronenbeschusses. Niemand würde an den Langzeitfolgen von Fallout und Strahlung sterben, weil keine freigesetzt wird. Innerhalb von ein paar Tagen könnten wir unse-184
re Städte wieder aufbauen, ohne dass wir Schutzanzüge tragen oder uns Gedanken um eine mögliche Kontamination machen müssten.«
»Das sind dennoch scheußliche Vorstellungen, John«, sagte Muldoon.
Westwood schenkte ihm ein dünnes Lächeln. »Ich weiß, ich weiß. Es ist der reinste Alptraum. Aber die Russen müssen sich die Sache genau überlegt haben.
Nun«, fuhr er fort, »wir besitzen keine solchen modernen Kernwaffen. Wenn uns die Russen also angreifen würden, müssten wir uns auf die hochradioakti-ven Sprengköpfe verlassen, mit denen unsere U-Boote und Interkontinentalraketen bestückt sind. Und das heißt, dass unser Gegenschlag die Gemeinschaft unabhängiger Staaten in eine verstrahlte, unbewohnbare Wüste verwandeln würde. Okay, beide Seiten würden schwere Verluste erleiden, ohne dass es einen Gewinner gibt, aber wir hätten doch einen leichten Punkt-vorteil. Die GUS würde sich von diesem Schlag wo-möglich nie mehr erholen. Ich meine, sehen Sie sich doch an, was dort los ist. Trotz aller Hilfe von Seiten des Westens plagen sie sich immer noch mit den Folgen des Reaktorunfalls von Tschernobyl herum, und das ist über zwanzig Jahre her.«
Hughes nickte geistesabwesend. »Schön und gut, John, aber offensichtlich haben die Russen einen neuen Bombentyp entwickelt, und ich glaube nicht, dass sie das nur zum Spaß gemacht haben. Sie müssen etwas Bestimmtes vorhaben.«
»Genau das beschäftigt mich, seit ich die Meldung 185
gelesen habe«, sagte Muldoon. »Aber was zum Teufel haben sie damit vor?« Er blickte zu Westwood. Muldoon war Fachmann für Planung und technische Überwachungsmethoden, aber er wusste so gut wie nichts über HUMINT (Human Intelligence) – Nachrichtenbeschaffung durch Personen, beziehungsweise Spionage. Satelliten und Aufklärungsflugzeuge liefern zwar genaue Erkenntnisse über Technologie und Inf-rastruktur, nicht aber über die Absichten der Menschen, die diese Technologie herstellen. Dazu braucht man einen Agenten vor Ort, jemanden, der sich um-hört, Fragen stellt und Erkundigungen einholt.
Westwood schüttelte den Kopf. »Wir haben keine Quelle, die wir wegen dieser Sache anzapfen könnten
– von RAVEN einmal abgesehen, und mit dem können wir nicht ins
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