Operation Overkill
kam erschwerend hinzu. Sie können sich sicher vorstellen, dass eine Unmenge Film anfällt, wenn die Kameras jede halbe Sekunde eine Aufnahme machen – alles in allem sind es fast dreitausend Einzelbilder. Wir haben dieses Material erheblich komprimiert, indem wir die Einzelbilder mit einer 35mm-Filmkamera abfotografierten – Video hat nicht die nö-
tige Schärfentiefe –, sodass wir sie projizieren können wie einen Kinofilm. Im Endeffekt wird es Ihnen so vorkommen, als würden Sie in einem Flugzeug sitzen und durch ein sehr starkes Fernglas auf die unter Ihnen vorüberziehende Landschaft blicken.«
Kemp zog kurz am unteren Rand der Russlandkar-te, worauf sie sich ratternd in den an der Decke montierten Kasten aufrollte. Dann drückte er auf einen Knopf am Lesepult und beugte sich vor das Mikrofon.
»Filmvorführer, sind Sie bereit?« Aus dem Lautsprecher an der Rückwand ertönte ein dumpfer Laut, worauf sich Kemp zu Richter setzte. Die Neonlampen gingen aus – offenbar konnte sie der Filmvorführer von seiner Kabine aus regeln –, und die Leinwand am anderen Ende das Raumes wurde in gleißend weißes Licht getaucht. Dann flackerte es ein paarmal, und der Vorspann lief durch. Als die Leinwand dunkel wurde, beugte sich Richter vor.
215
Knapp eine Minute später lehnte er sich wieder zu-rück. Er wusste nicht genau, was er erwartet hatte, aber jedenfalls nicht diesen undefinierbaren Misch-masch aus Schwarz, Weiß und diversen Grautönen, der über die Leinwand ruckelte. Richter vermutete, dass es am vertikalen Blickwinkel lag, und weil er das fotografierte Terrain nicht kannte. Jedenfalls konnte er nicht das Geringste erkennen, und das sagte er Kemp auch.
»Das wundert mich nicht«, erwiderte Kemp. »Die Bildauswertung ist eine hohe Kunst, die man lernen muss.« Er ging zum Pult und beugte sich ans Mikrofon.
»Anhalten.« Der Film flackerte ein, zwei Sekunden lang und blieb stehen. Kemp deutete auf die Leinwand.
»Können Sie dort irgendwas erkennen?«
Richter schaute genau hin. Für ihn sah das Ganze eher wie ein abstraktes Gemälde aus. Ein abstraktes Gemälde, das auf dem Kopf stand. Er schüttelte den Kopf. »Nicht das Geringste.«
»Penny, wären Sie so nett?«
»Selbstverständlich, Sir.« Penny Walters stand auf und ging nach vorn zum Pult. Sie nahm einen anderen Zeigestock, an dessen Spitze sich eine kleine Lampe befand, und drehte sich zur Leinwand um.
Inmitten der Schwarz-, Weiß- und Grautöne konnte Richter drei klare Konturen erkennen. Zunächst eine mäandernde Linie, die mehr oder weniger in Richtung Nordwesten verlief, vorausgesetzt, dass Norden oben auf der Leinwand war, was nicht unbedingt der Fall sein musste. Außerdem erkannte er einen kleinen, 216
viereckigen grauen Fleck in der unteren rechten Ecke und ein größeres, dunkleres Viereck unmittelbar da-rüber. Richter konnte damit überhaupt nichts anfangen. Sub Lieutenant Walters indessen schien sich ihrer Sache völlig sicher zu sein.
»Diese Aufnahme entstand in der Anfangsphase des Überflugs, ein paar Meilen südlich von Workuta.
Die diagonale Linie hier ist ein Flusslauf, und wenn Sie genau hinsehen, können Sie auch zwei Nebenflüs-se erkennen. Der Fluss war ziemlich trocken, als dieses Bild aufgenommen wurde. Das erkennt man an den unregelmäßigen Uferlinien und den wechselnden Farben – das Dunkle in der Mitte ist ziemlich seichtes Wasser, während die etwas helleren Umrisse trock-nenden Schlamm darstellen. Der noch hellere Bereich ist der Uferstreifen.« Sie zog den Leuchtstab etwas tiefer. »Dieses Viereck stellt die Überreste einer großen Hütte dar, ursprünglich vermutlich eine Scheune oder Stallung. Man kann nicht mehr genau erkennen, was es ursprünglich war, aber die Abmessung – etwa fünfzehn mal zehn Meter – deutet auf eine kleinere Scheune hin. Das große, dunkle Rechteck daneben ist ein einst bestelltes, jetzt aber brachliegendes Feld. Die dunkle Färbung stammt von dem dichten Gras- und Un-krautbewuchs, der von den Düngemitteln herrührt, mit denen der Boden einst behandelt wurde. Ansonsten gibt es auf diesem Bild nichts Bemerkenswertes zu sehen – nur die typische Sommertundra.«
Richter fiel nichts annähernd Vernünftiges dazu ein, deshalb schwieg er. Penny Walters lächelte ihn an. »Das 217
kommt Ihnen vermutlich wie Zauberkunst vor, Sir, aber ich kenne den Film ziemlich gut. Außerdem konnte ich mir Bild für Bild bei starker Vergrößerung ansehen.«
Richter wandte sich an Kemp.
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