Operation Overkill
den Fond des Wagens. Er fand drei leere 45er-Patronenhülsen am Boden, aber sonst nichts. Andererseits wusste er aber, dass sie mindestens fünf Schüsse auf ihn abgegeben hatten – einen, der das Rückfenster und die Windschutzscheibe des Granada zertrümmert hatte, drei weitere, als er auf der zweispurigen Straße in entgegengesetzter Richtung an ihnen vorbeigefahren war, und einen, als er die hintere Tür aufgerissen hatte. Der Colt half ihm auch nicht weiter. Im Magazin fehlte nur ein Schuss, ein weiterer Hinweis darauf, dass sein Besitzer ein Profi war, denn offenbar hatte er während der Verfolgungsjagd nachgeladen. Nur Amateuren geht die Munition aus. Die vierte und fünfte Patronenhülse lagen vermutlich irgendwo auf der Straße, aber er dachte nicht daran, sie zu suchen.
Richter fuhr zusammen, als vorn im Wagen ein Krächzen ertönte. Dann sah er das Funkgerät, das am Armaturenbrett festgeschraubt war. Allem Anschein nach hatte er Recht gehabt, was den zweiten Wagen anging, und vermutlich war er inzwischen auf dem Weg hierher. Höchste Zeit, dass er sich verzog. Richter hatte keine Lust auf eine weitere Auseinandersetzung, und er wollte nicht, dass ihn jemand hier entdeckte – vor allem keine Polizeistreife – und ihm allerlei Fragen stellte, auf die er keine Antwort geben 241
konnte. Deshalb stieg er rasch in den Ford und fuhr davon.
Richter bog auf die erstbeste Nebenstraße ab und folgte ihr, bis er zu einem Fluss kam. Er hielt neben der Brücke, überzeugte sich, dass er nicht beobachtet wurde, und warf den Stein ins Wasser. Richter wusste, dass Kriminaltechniker an nahezu jedem Gegenstand Fingerabdrücke finden konnten, und er wollte kein Risiko eingehen. Dann stieg er wieder in den Granada. Fünf Minuten später, nach etwa drei Meilen, bog er von der Straße ab und stieß in ein Wäldchen. Er blieb ein paar Minuten lang im Auto sitzen und atmete tief durch. Seit Beginn der Verfolgungsjagd hatte er, vom Adrenalin beflügelt, nur gehandelt und überlegt, wie er davonkommen könnte, und jetzt setzte allmählich die Gegenreaktion ein. Seine Hände zitterten leicht, und der Puls ging deutlich schneller.
Gewalt war für Richter nichts Neues. Wenige Tage nach seiner ersten Begegnung mit Simpson und noch vor seinem Dienstantritt beim FOE war er mit einer fadenscheinigen Legende versehen nach Frankreich geschickt worden, wo er jemanden töten musste, um selbst zu überleben. Aber noch nie zuvor hatte Richter jemanden mit bloßen Händen umgebracht.
Die Männer im Jaguar waren tot, davon war er überzeugt. Er hatte gehört und gespürt, wie ihre Schädel unter den Schlägen mit dem Stein geborsten waren.
Und diesmal hatte er weder den Auftrag gehabt, jemanden auszuschalten, noch eine offizielle Erlaubnis.
Er wusste nicht einmal, wer diese Männer waren. Sie 242
waren gestorben, weil sie ihn umbringen wollten. Ob das als Rechtfertigung genügte, wusste er nicht, aber ihm war klar, dass er vorsichtig sein musste.
Richter legte die beiden Waffen auf den Nebensitz und musterte den Wagen. Er sah schlimm aus – bestenfalls. Da die Windschutzscheibe aus Sicherheitsglas bestand, konnte er wegen des Einschussloches nichts unternehmen, aber er schlug das zersplitterte Rückfenster heraus und achtete darauf, dass die Scherben in den Wagen fielen. Brauchte ja nicht jeder zu wissen, dass er hier Halt gemacht hatte. Das Fenster auf der Fahrerseite war ebenfalls zersprungen und der Boden mit Splittern übersät. Dort waren sie gut aufgehoben.
Er schaute sich das Fahrzeug von außen an und entdeckte ein Einschussloch knapp unterhalb der Oberkante des vorderen Kotflügels und das Austrittsloch etwa in der Mitte der Motorhaube. Richter verschmier-te die beiden Löcher mit Matsch – eine nur ungenü-
gende Tarnung – und warf dann ein paar Hände voll Dreck an die Seite des Wagens. Die Kugel, die das Seitenfenster durchschlagen hatte, war knapp über der Beifahrertür am Dach ausgetreten, und der dritte Schuss hatte den Wagen vermutlich verfehlt. Unter diesen Umständen, dachte er, hatte der Schütze verdammt gut gezielt.
Die linke Seite des Wagens war verbeult und eingedrückt. Die Kotflügel hinten und vorn waren nicht mehr zu reparieren. Sämtliche Scheinwerfer, Stand-lichter und Blinker waren kaputt. Die Haube war verklemmt, sodass Richter nicht feststellen konnte, ob die 243
Kugel irgendwelche Schäden im Motorraum angerichtet hatte, aber da offenbar alles noch funktionierte, machte er sich keine
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