Operation Romanow
deutsche Luftüberwachung ist offenbar noch beim Frühstück. In einer Stunde sind wir am Ziel. Ich habe Lydia gerade die Aussicht gezeigt.«
»Wenn es Ihnen recht ist, leihe ich sie mir einen Moment aus.«
Sie kehrten in die Kabine zurück. »Wir sollten unsere neuen Biografien noch einmal durchgehen und überprüfen, ob wir unsere Papiere und alle Sachen bei uns haben.«
Während sie ihre Biografien wiederholten, packte Andrew seinen Seesack auf dem Bett aus und überprüfte, ob er alles hatte, was er brauchte. Lydia folgte seinem Beispiel.
»Sieht so aus, als wäre alles in Ordnung. Wir müssen uns jetzt umziehen, bevor wir landen«, sagte Andrew schließlich.
Sie drehten einander in der engen Kabine den Rücken zu. Lydia zog das einfache Kleid, eine Baumwollbluse und eine Jacke an, Andrew eine Hose aus Wollstoff und Reitstiefel.
Er drehte sich gerade zu Lydia um, als sie sich wie eine Zigeunerin ein Kopftuch um den Hals band, ihr langes Haar offen auf die Schultern fallen ließ und es mit einer grazilen Bewegung des Kopfes ausschüttelte.
»Wir halten uns an Boyles Rat und gehen nach der Landung sofort zum nächsten Bahnhof«, sagte Andrew, als er sich umgezogen hatte. »Es ist sicherer, wenn wir nur Feldwege benutzen, und in dieser Kleidung erregen wir keine Aufmerksamkeit. Hast du noch Fragen?«
»Ich glaube nicht.«
»Gut. Wir können uns bis zur Landung auch vorne aufhalten.« Andrew steckte die Mütze in die Hosentasche und griff nach seinem Seesack. »Hast du Angst, Lydia?«
Diese Frage traf Lydia vollkommen unvorbereitet. Sie wandte den Blick ab und starrte durch das Fenster in die Ferne. Dann drehte sie sich wieder um und sah Andrew mit großen Augen an. »Ich weiß nicht, ob ich noch vor irgendetwas Angst habe. Sobald man einmal den Krieg erlebt hat, ist man nie mehr derselbe Mensch. Man sieht die Welt mit anderen Augen.«
»Ich weiß.«
»Als Kind habe ich die Welt für einen sicheren Ort gehalten. Das ist nicht mehr so. Heute weiß ich, dass sie kalt und gleichgültig und voller Brutalität ist. Man ist dankbar für jedes bisschen Liebe, das man bekommt. Vielleicht ist das der Grund, warum ich Sean niemals aufgegeben habe.«
»Und wenn du ihn niemals wiedersiehst? Wenn du einen anderen Mann kennenlernst?«
»Ich glaube, unsere Herzen sind groß genug, um mehr als einen Menschen im Leben zu lieben, nicht wahr?« Lydia suchte seinen Blick. »Und du? Hast du Angst?«
Andrew dachte darüber nach. »Um das Schicksal von Sergej und Nina mache ich mir große Sorgen, aber nicht um mich. Und ich möchte dir etwas sagen: Was auch immer uns zustoßen mag, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit du lebend zurückkehrst.«
Andrews Worte schienen Lydia zu berühren. Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. »Danke.«
Sie standen in der kleinen Kabine eng beieinander, und ihre Körper berührten sich beinahe. Andrew nahm sie in die Arme.
Lydia wehrte sich nicht, und als er sie auf die Lippen küsste, erwiderte sie den Kuss zuerst zögernd, doch dann mit wachsender Leidenschaft. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihn.
Andrew und Lydia standen in inniger Umarmung in der Kabine, als das Flugzeug zu schaukeln begann und das Motorengeräusch sich veränderte.
»Was zum Teufel …?«, stieß Andrew aus.
Plötzlich hörten sie ein unaufhörliches Rattern, wie von Maschinengewehren, und plötzlich taumelte und schlingerte die Ilja stark. Andrew verlor das Gleichgewicht und fiel aufs Bett, und Lydia landete auf ihm.
Sie rappelten sich gerade mühsam hoch, als die Tür zur Schlafkabine aufflog und der aschfahle Kopilot vor ihnen stand. »Kapitän Posner bittet Sie, ins Cockpit zu kommen. Wir stecken in großen Schwierigkeiten.«
65. KAPITEL
Im Luftraum über Sankt Petersburg
Andrew und Lydia gingen wankend aufs Cockpit zu. Posner drohte die Kontrolle über das Flugzeug zu verlieren.
Schwarzer Rauch drang aus einem der Motoren auf der linken Seite des Flugzeugs. Der Kopilot, der sie aus der Kabine gerufen hatte, lag in der Nähe des Bugs auf dem Bauch und feuerte Salven aus einem Vickers-Maschinengewehr. Der junge Mechaniker hatte eine der Ladeluken des Flugzeugs geöffnet und warf hastig die schweren Treibstofffässer hinaus.
Eine schwere Salve traf sie, und das Flugzeug bebte heftig, als die Maschinengewehrkugeln in die Tragflächen und den Rumpf einschlugen. Posner schob den Steuerknüppel nach vorn, worauf die Maschine in einen
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