Operation Romanow
geirrt.«
Lydia begann zu lachen. Es war das erste Mal, seitdem Andrew sie kennengelernt hatte, und es kam ihm fast so vor, als stünde ein anderer Mensch vor ihm.
»Du erfährst gleich, warum ich sie gekauft habe. Es ist ein Trick, der manchmal sehr nützlich sein kann.«
Sie erreichten die Herberge und stiegen die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Andrew nahm eine Kartoffel, klappte sein Taschenmesser auf und legte beides auf den kleinen Tisch.
»Ich habe darüber nachgedacht, was Tarku über die Truppen- und Nachschubzüge gesagt hat, die zu allen Zeiten in den Ural fahren. Wir versuchen, in so einen Zug nach Jekaterinburg einzusteigen.«
»Aber wir sind nicht vom Militär.«
Andrew nahm den Umschlag aus der Tasche, zog das mit der Maschine geschriebene Blatt heraus und zeigte es ihr. »Wenn wir Glück haben, ist das kein Problem. Sieh mal.«
Lydia las die Seite laut vor.
Für jeden, den es betrifft: Der Besitzer dieses Briefes, Nikolaus Kuris, handelt auf höchsten Befehl der Tscheka. Jeder Soldat und Zivilist ist verpflichtet, ihm ungeachtet seines Ranges auf jede erdenkliche Weise zu helfen.
Unterschrieben von Wladimir Lenin.
Die Unterschrift war kaum zu entziffern.
»Damit verschaffen wir uns einen Platz in einem Zug«, sagte Andrew.
Lydia sah ihn mit todernster Miene an und lächelte dann. »Du bist ein einfallsreicher Mann, und es hört sich ziemlich beeindruckend an. Aber hast du nicht etwas vergessen? Der Brief trägt keinen offiziellen Stempel.«
Andrew hielt eine Kartoffel hoch. »Den bekommt er jetzt. Pass auf.«
Er schnitt die Kartoffel mit dem Messer durch, nahm eine Hälfte in die Hand und wischte die überschüssige Feuchtigkeit mit dem alten Betttuch ab. Anschließend zog er seinen Entlassungsbrief mit dem roten Stempel des Kriegsministeriums aus der Tasche, legte das Dokument flach auf den Tisch und drückte die aufgeschnittene Seite der Kartoffel ein paar Sekunden auf den roten Stempel.
Als er die Kartoffel wieder wegnahm, hatte sie das Bild aus roter Tinte aufgesaugt. Andrew drückte die Kartoffel in die untere rechte Ecke des Briefes, den er selbst geschrieben hatte. Als er die Kartoffel wieder wegnahm, war eine perfekte Kopie des Originalstempels auf dem falschen Brief zu sehen.
» Voilà, wie die Franzosen sagen. Wenn der Stempel trocken ist, sieht er höchst offiziell aus. Die Stärke in der Kartoffel nimmt die Tinte auf.«
Andrew schwenkte die Seite durch die Luft, damit die Stärke schneller trocknete. »Wenn es etwas gibt, was die Bolschewisten meisterhaft verstehen, dann Terror zu verbreiten. Das hier wird jeden, der es liest, in Angst und Schrecken versetzen. Uns wird dieses Schreiben ermöglichen, in einem Zug mitzufahren, der Soldaten nach Jekaterinburg bringt.«
»Glaubst du wirklich, es geht als offizielles Dokument durch?«
»Ich habe mein eigenes, von Lenin unterschriebenes Todesurteil gesehen. Glaub mir, das hier erfüllt seinen Zweck. Außerdem ist das Glück auf der Seite der Mutigen, wie meine Großmutter zu sagen pflegte.«
»Wann brechen wir nach Jekaterinburg auf?«
»Heute Abend. Nachdem ich Nina und meinen Sohn gesehen habe.«
70. KAPITEL
Moskau
Das Wohnhaus in der Nähe des Arbat-Viertels lag im ersten Stock. Die Wohnung mit den zwei Zimmern war nur spärlich eingerichtet, aber dennoch peinlich sauber und mit den Blumentöpfen aus Ton auf den Fensterbänken beinahe gemütlich.
Auf dem Tisch standen die Reste eines kleinen Geburtstagskuchens und ein paar Teller mit Plätzchen, die Sobas Frau gebacken hatte. Daneben lagen ein paar billige Spielsachen.
Jakow saß mit offenem Hemdkragen und einem Glas Wodka in der Hand am Tisch. Sein Blick ruhte auf seiner Tochter. Sie spielte mit einem halben Dutzend Kindern, die in der Küche herumliefen und alle Hütchen aus altem Zeitungspapier trugen.
Katerina war kein kleines Kind mehr. Sie ging zur Schule, diskutierte mit ihren Freundinnen und entwickelte sich allmählich zu einer eigenständigen Persönlichkeit. Die Kriegsjahre haben mich verändert, dachte Jakow. Man vergisst, dass es auch noch Schönes auf der Welt gibt.
Aber wenn er mitunter an Katerinas Bett saß, ihr übers Haar strich und ihr Gesicht betrachtete, während sie schlief, wunderte er sich immer wieder, wie sehr er sie liebte.
Der Verlust ihrer Mutter hatte sie hart getroffen. Wenn Sobas Frau nicht gewesen wäre, hätte Jakow nicht gewusst, was er getan hätte. Seine Tochter nannte Sobas Frau ›Tante‹, doch im Grunde war sie ihre
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