Operation Romanow
»Das muss gefeiert werden. Ich habe eine Flasche ukrainischen Wodka, der zieht einem die Schuhe aus. Trinken wir ein Glas? Natürlich! Sie müssen.«
Ein lautes Pfeifen war zu hören, als ein Zug aus dem Bahnhof auf der anderen Straßenseite herausfuhr. Tarku suchte die Wodkaflasche in der Schublade eines Schreibtisches und wischte drei kleine Gläser mit einem Taschentuch aus, ehe er sie bis zum Rand füllte. Er reichte jedem ein Glas und erhob seines. »Nastrovje! Möge dieses machthungrige Schwein Lenin in der Hölle schmoren. Er hat Brot und Frieden versprochen, und bekommen haben wir Hunger und einen Bürgerkrieg!«
Andrew trank sein Glas in einem Zug aus, stellte es ab und sah sich in dem Geschäft um. »Und, wie meint es das Leben in diesen Zeiten mit Ihnen, Tarku?«
»Viel besser als damals, als wir beide durch die Hölle gegangen sind, Hauptmann. Und hier in dieser großen Stadt ist es sicherer als in Kiew. Man kann sich besser verstecken, und ich achte darauf, nicht aufzufallen.«
»Viel zu tun?«
»Wir kommen gar nicht hinterher. In diesen Zeiten braucht jeder für irgendetwas Bargeld.« Tarku goss sich nach. »Was ist passiert, nachdem wir uns getrennt haben? Haben Sie Ihre Familie gesehen?«
»Bitten Sie mich nicht, es zu erklären. Es ist zu kompliziert. Können Sie mir helfen, Tarku?«
»Einem alten Kameraden wie Ihnen immer.« Tarku warf Lydia einen Blick zu. »Er ist ein ›wahrer Mensch‹, um es mit den Worten meiner jüdischen Freunde zu sagen. Für ihn standen seine Männer immer an erster Stelle. Noch einen Wodka? Auf einem Bein kann man nicht stehen!«
Tarku schickte sich an, ihr nachzuschenken, doch Lydia legte eine Hand auf ihr Glas. »Wenn ich noch einen trinke, liege ich auf dem Boden.«
»Der ist immerhin sauber. Wir haben heute Morgen erst gefegt. Hauptmann?«
Andrew hielt ihm sein Glas hin. Als Tarku nachgegossen hatte, trat Andrew ans Fenster, spähte zu dem Güterbahnhof hinüber und dachte angestrengt nach.
Die Rotarmisten waren eifrig bei der Arbeit und beluden einen langen Güterzug mit Nachschub aus Last- und Pferdewagen. »Fahren die Züge im Augenblick pünktlich?«
»Mehr oder weniger. Die Roten haben ein paar streikende Eisenbahnarbeiter erschossen, wodurch sich der Betrieb wesentlich verbessert hat. Ironischerweise haben sie dieselben Eisenbahnarbeiter einst zum Streik gedrängt, um Lenin zur Macht zu verhelfen.«
»Und was ist mit den Zügen in den Ural?«
Tarku zuckte mit den Schultern und stellte sich zu Andrew ans Fenster. »Kommt darauf an. Die Transsibirischen Passagierzüge fahren nicht immer nach Fahrplan. Truppenverstärkungen und Waggons mit medizinischem Material haben in diesen Zeiten offenbar Vorrang. Sie fahren auf Trotzkis Befehl die ganze Nacht durch, denn die Weißen setzen den Truppen im Osten hart zu. Sagen Sie bloß nicht, Sie wollen dahin, um sie zu unterstützen.«
»Vielleicht.«
»Sie wären nicht der Einzige. Seit der Gefangennahme des Zaren fahren immer wieder Freiwillige in den Ural, einschließlich netter alter Damen, Adeliger und frommer Leute, die in der Nähe ihres ehemaligen Zaren sein wollen. Verrückt, ich weiß. Der Zar ist am Ende.«
Andrew nippte an seinem Wodka. »Wann genau fahren die Truppenzüge?«
»Normalerweise abends nach zehn. Warum?«
Andrew dachte nach, kippte den Schnaps herunter und stellte das Glas ab. »Je weniger Sie wissen, desto besser, Tarku.«
»Wie Sie meinen.«
Andrew warf einen Blick auf die Kleiderständer. »Haben Sie für uns etwas zum Anziehen?«
»Machen Sie Scherze? Wir könnten halb Moskau mit dem Zeug einkleiden, das wir hinten lagern.«
»Ich brauche andere Kleider. Meine Begleiterin auch. Aber zuerst möchte ich mir die Schreibmaschine ausleihen, und ich brauche Papier. Gibt es hier eine Ecke, wo ich zwanzig Minuten ungestört bin?«
»Ja, kein Problem. Und wozu das Papier?«
»Ich muss einen wichtigen Brief schreiben.«
69. KAPITEL
Moskau
Das Lager hinter dem Verkaufsraum war vollgepackt mit Kleidung, Kisten und Vitrinen, in denen die wertvolleren Pfandstücke lagen.
Tarku holte die Schreibmaschine aus dem Schaufenster und stellte sie auf einen Tisch. Dann wühlte er in einer Schublade, bis er Schreibpapier und braune Briefumschläge fand. »Und Ihre Begleiterin?«
»Vielleicht können Sie ihr neue Kleidung in ihrer Größe zeigen. Sie findet bestimmt etwas.« Andrew warf einige Rubel auf den Tisch. »Für Ihre Mühe. Es sind harte Zeiten.«
Tarku wies das Geld zurück. »Ich
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