Operation Romanow
kurzer Ausflug ins Freie war beendet. Anastasia war die Letzte, die in den Palast zurückkehrte. Sie zögerte einen kurzen Moment, als suchte sie etwas im Garten, ohne genau zu wissen, was es war. Und dann drehte sie ihren hübschen Kopf um, betrat durch die Terrassentür den Palast und verschwand.
Wie immer, wenn Sorg sie aus den Augen verlor, wurde ihm schwer ums Herz. Er wandte den Blick von dem Fernrohr ab. Nur die Hoffnung, Anastasia zu retten, half ihm, nicht den Mut zu verlieren. Das war seine Mission. Ihr Vater war ihm vollkommen gleichgültig. Er hasste ihn geradezu. Aber Sorg hatte einen Auftrag zu erledigen, und das bedeutete, dass er sich auch um den ehemaligen Zaren und den Rest der Familie kümmern musste.
Sorg protokollierte die Zeit, machte sich Notizen zum allgemeinen Erscheinungsbild der Familie und schrieb seine persönlichen Eindrücke auf. Den verschlüsselten Bericht würde er nach Helsinki telegrafieren. Von dort aus würde seine Botschaft zu gegebener Zeit über die Unterseekabel von London nach New York und dann weiter nach Washington telegrafiert werden.
Der junge Mann legte Notizbuch und Stift weg und begann, das Fernrohr auseinanderzubauen. Als er das leise Knarzen der Bodendielen hörte, drehte er sich um.
Rawitsch, sein Vermieter, stand in der Tür. Er betrat den Raum mit einem schiefen Grinsen und zog in aller Seelenruhe die Handschuhe aus. »Ah, Herr Carlson. Ich wollte nur fragen, ob mit dem Wasser alles in Ordnung ist.«
»Wie lange stehen Sie schon da?«, fragte Sorg in heiserem Ton.
Rawitsch steckte die Handschuhe in die Tasche, und im nächsten Augenblick hielt er einen Nagant-Revolver in der Hand und richtete ihn auf Sorg.
»Lange genug. Ich habe gelernt, dass ein Überraschungsbesuch bei neuen Mietern immer aufschlussreich ist. Offenbar habe ich den Zeitpunkt gut gewählt. Ich hoffe, Sie haben durch dieses Erlebnis etwas gelernt, Herr Carlson?«
»Meine Tür in Zukunft abzuschließen.«
Rawitsch grinste übers ganze Gesicht. »Die Waffe ist übrigens geladen. Und ich bin in der Lage, sie zu benutzen. Sind Sie bewaffnet?«
»Nein.«
»Wir werden sehen.« Der Hausbesitzer umkreiste Sorg und tastete ihn ab.
Sorg spürte, dass ihm der Schweiß ausbrach. Seine Gedanken überschlugen sich.
Nachdem Rawitsch die Leibesvisitation beendet hatte, strich er mit der freien Hand über das glänzende Messingfernrohr. »Ein feines Gerät. Aus Deutschland, nicht wahr? Beobachten Sie ein wenig die Vögel, Herr Carlson, oder etwas Interessanteres?«
»Was wollen Sie?«
»Die gute Aussicht ist einer der Gründe, warum ich dieses Haus gekauft habe«, sagte Rawitsch und zog die Gardine zur Seite. »Ich hatte gehofft, dass sie den Wert meiner Investition eines Tages steigern würde. Ach, aber ich fürchte, in diesen unruhigen Zeiten könnte das ziemlich aussichtslos sein.«
»Kommen Sie zur Sache.«
Rawitsch durchquerte den Raum und spähte auf die Gladstone-Tasche auf dem Küchentisch. »Ich frage mich, was ein Mann wie Sie mit einem Fernrohr macht, das er auf das Grundstück des Palastes richtet. Vielleicht hat das überhaupt nichts zu bedeuten, aber …«
»Aber was?«
»Ich habe Sie heimlich beobachtet, seitdem Sie diese Wohnung gemietet haben. Und nachdem ich nun gesehen habe, was Sie hier treiben, vermute ich fast, Sie sind ein Spion.«
»Sie vermuten eine Menge, Herr Rawitsch.«
Der Hausbesitzer richtete die Waffe wieder auf Sorg. »Halten Sie mich nicht für blöd. Ich habe jahrelang beim Geheimdienst der Marine gearbeitet. Sie beobachten den Palast, in dem die Romanows gefangen gehalten werden.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
Rawitschs Augen funkelten gierig. »Mir ist es scheißegal, wer Sie sind und für wen Sie arbeiten. Ich hoffe nur, Sie sind so vernünftig, dass wir zu einer Einigung kommen.« Der Hausbesitzer rieb Daumen und Zeigefinger aneinander – eine Geste, die jeder verstand. »Sie tun weiterhin das, was immer Sie auch tun. Ich weiß von nichts, und Sie zeigen sich als Gegenleistung ein bisschen großzügig.«
»Woher soll ich wissen, dass ich Ihnen trauen kann?«
»Das wissen Sie nicht. Aber ich glaube, wir sind uns einig, dass wir beide in große Schwierigkeiten geraten könnten, wenn wir die Polizei einschalten.«
»Ich kann Ihnen Geld geben. Es ist in dem anderen Raum.«
Rawitsch zeigte mit der Waffe auf die Küche. »Ich freue mich, das zu hören. Aber ich warne Sie. Wenn Sie versuchen, mich auszutricksen, blase ich Ihnen den Schädel weg.«
Er
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