Operation Romanow
Mann trat ans Bett und nahm seine Pelzmütze ab. »Hallo, Juri.«
Andrew strahlte. »Stanislaw …«
»Ich habe mich den Rotgardisten angeschlossen, Juri«, sagte der Junge stolz. »Ich bin jetzt Soldat.«
»Das kann nicht sein. Du bist nicht alt genug.«
»Ich bin fast siebzehn. Alt genug, um ein Gewehr für den Genossen Lenin zu tragen.«
»Mein Gott, was soll aus der Welt werden, wenn Jungen schon Waffen tragen?«, murmelte Andrew, in dessen Stimme aufrichtige Zuneigung mitschwang. »Komm her.« Er drückte dem Jungen herzlich die Hand und umarmte ihn. »Zum letzten Mal habe ich dich auf der Beerdigung meines Vaters gesehen. Du sahst aus, als würdest du noch mit Zinnsoldaten spielen. Schau dich jetzt an.«
Stanislaw schwang sein Gewehr. »Das hier hat meine Spielsachen ersetzt, Juri. Alle meine Freunde haben sich der Revolution angeschlossen. Lenin ist unser Gott. Sag ihm, warum wir hier sind, Leonid …«
Jakow zerzauste das Haar seines Bruders und unterbrach ihn. »Du redest zu viel, Stanislaw. Besorg mit Soba etwas zu essen. Dann haben Juri und ich Zeit, uns zu erzählen, was inzwischen alles passiert ist.«
»Ich hoffe, du erholst dich schnell, Juri.«
Andrew verabschiedete sich von den beiden, worauf Stanislaw und Soba die Baracke verließen. Als sie die Tür hinter sich schlossen, verdunkelte sich Andrews Miene. »Wie konntest du es zulassen, dass Stanislaw in die Armee eintritt, Leonid? Wir beide kennen die Schrecken des Krieges!«
Jakow setzte sich und trank einen Schluck. »Ich konnte ihn nicht davon abbringen. Er ist genauso ungestüm und eigensinnig wie ich.«
»Rede es ihm aus, ich flehe dich an!«
»Ich weiß, dass Stanislaw immer wie ein kleiner Bruder für dich war. Mach dir keine Sorgen. Ich habe ihn in meine Einheit versetzen lassen, damit ich ihn unter meine Fittiche nehmen kann. Ich sorge schon dafür, dass ihm nichts zustößt. Hier, trink noch einen Schluck.«
»Willst du mich betrunken machen?«
»Wodka ist leider alles, was ich habe, um deine Schmerzen zu lindern. Uns ist das Chloroform ausgegangen. Trink, das wird dir helfen zu vergessen, dass wir auf unterschiedlichen Seiten stehen.«
Andrew trank ein paar Schlucke. Der hochprozentige Wodka brannte in seiner Kehle, und er begann zu husten.
Jakow lächelte. »Es ist der beste sibirische Wodka, den es gibt. Sie benutzen ihn hier als Brennstoff für die Sturmlampen. Die Lampen brennen sogar beim schlimmsten Schneegestöber weiter. Es ist nur schwierig, die Flamme hinterher zu löschen.«
»Du willst mich wohl umbringen.«
Mit ernster Miene nahm Jakow einen feuchten Lappen und tupfte den Schweiß von Andrews Stirn. »Feldwebel Mersk sagt, du bist ein unbeugsamer Gefangener. Er scheint ein ekelhafter Kerl zu sein.«
»Mersk hasst jeden. Er hat behauptet, es sei unmöglich, aus dem Lager zu fliehen.«
Jakow schüttelte amüsiert den Kopf. »Also hast du beschlossen, dir ein Wettrennen mit ihm zu liefern? Du hast schon immer Herausforderungen geliebt, Juri. Lebe gefährlich und sei auf der Hut, das war stets dein Motto. Erinnerst du dich, als wir mitten im Winter aus dem deutschen Gefangenenlager geflohen sind?«
»Du hast mich gezwungen, drei Nächte durch hohen Schnee zu stapfen, ohne eine Stunde zu schlafen.«
Jakow nickte. »Und als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, hast du mich aufgefordert, diese furchtbaren Marschlieder der Kosaken zu singen, die wir aus unserer Kindheit kannten, damit ich wach bleibe. Ich habe es dir zu verdanken, dass ich am Leben blieb, Juri. Übrigens, der besoffene Tölpel, der sich Lagersanitäter nennt, hat mir gesagt, dass es ein glatter Durchschuss ist. Ich habe die Wunde mit Wodka gereinigt und sie, so gut ich konnte, verbunden. Aber ich glaube, deine Schulter ist ausgerenkt.«
Andrew starrte auf Jakows schwarzen Ledermantel und das Parteiabzeichen der Kommunisten auf dem Revers. »Seit wann arbeitest du für die Geheimpolizei, Leonid?«
»Genosse Lenin hat mich mit dem Rang eines Kommissars zur Tscheka abkommandiert.«
»Ich bin beeindruckt. Aber du hast mir noch nicht gesagt, was du hier machst.«
Jakow wich der Frage aus. »Ich schau mir zuerst einmal deinen Arm an.« Er untersuchte ihn. »Ja, die Schulter ist ausgerenkt. Mir ist es lieber, wenn der Sanitäter die Finger davon lässt, denn er würde wahrscheinlich alles nur noch schlimmer machen.«
Andrew zuckte zusammen. Seine Stirn war fiebrig heiß, und brennende Schmerzen zuckten durch seine Schulter. »Renk du mir
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