Operation Romanow
gerührt. Er hatte keinen einzigen Penny in der Tasche. »Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Sagen Sie nichts. Es ist eine Leihgabe, kein Almosen. Geben Sie es mir zurück, sobald Sie können.«
»Aber ich habe gar keine Arbeit.«
»Doch, die haben Sie.« Schaskow lächelte und schlug ihm auf die Schulter. »Wie ist Ihr Englisch? Gut?«
»Ich glaube schon.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie nichts vom Drucken verstehen. Sie werden es schnell lernen. Morgen fangen Sie mit der Arbeit an.«
Der kleine Mann war Andrew wie ein Schutzengel vorgekommen – doch an diesem Morgen hatten sich tiefe Falten in Schaskows Stirn gegraben.
»Was ist los, Iwan? Sie sehen beunruhigt aus.«
»Haben Sie im Klub die Neuigkeiten gehört?«
»Dort gibt es jeden Tag neue Gerüchte. Welche Neuigkeiten meinen Sie?«
»Dass die Amerikaner genau wie die Briten beabsichtigen, in Nord-Russland und in Sibirien zu landen, um Lenins Macht zu bedrohen. Und dass der Zar und seine Familie nach Jekaterinburg gebracht wurden.«
»Ja, ich habe es gehört.«
Schaskow seufzte und steckte die Daumen in die Taschen seiner Weste. »Es gibt wilde Spekulationen, dass der Zar getötet werden soll. Nicht nur er, sondern die ganze Familie. Ich bin kein Freund der Zarenherrschaft – sie war korrupt und erfolglos –, aber wenn sie die ganze Familie töten, ist Russland verloren, Juri. Diese gottlosen Bolschewisten werden das Land in einen Friedhof verwandeln, und dann kann keiner von uns mehr zurückkehren. Es sieht so aus, als wäre dies ein Morgen der schlechten Nachrichten.«
»Wie meinen Sie das?«
Schaskow zog eine Schublade auf und nahm einen adressierten Umschlag mit blauen, fremdartig aussehenden Briefmarken heraus. »Der Brief, den Sie mir gegeben haben. Meinem Bruder Felix ist es gelungen, von Helsinki aus Sankt Petersburg zu erreichen und sich nach meinen Angehörigen zu erkundigen, die noch immer in Russland leben. Auf Ihren Wunsch hin habe ich Felix gebeten, Ihren Brief und das Geld persönlich abzugeben.«
»Und?«
»Felix hat mir geschrieben, als er nach Helsinki zurückgekehrt ist. Er schreibt, dass Ihre Frau und Ihr Sohn nicht mehr in dem Haus wohnen. Sie sind weg, Juri.«
Andrew beugte sich ängstlich vor. »Was soll das heißen, weg? «
Schaskow zuckte mit den Schultern. »Mein Bruder sagt, dass Nina nicht mehr dort wohnt.«
»Hat er mit den Nachbarn gesprochen?«
Schaskow nickte. »Eine der Nachbarinnen behauptet, sie habe Nina gesehen, als sie eines späten Abends das Haus mit einem kleinen Koffer in der Hand verließ. Seitdem ist sie nicht mehr dort aufgetaucht.«
»Und was ist mit Sergej?«
»Von einem Kind hat die Nachbarin nichts gesagt. Sie hat nur Ihre Frau gesehen.«
»Und wenn ihm etwas zugestoßen ist?«, fragte Andrew beunruhigt. »Er hätte bei seiner Mutter sein müssen!«
»Quälen Sie sich nicht, Juri. Es ist rätselhaft, ich weiß, aber es wird eine Erklärung dafür geben. In Russland herrschen chaotische Zustände. Recht und Ordnung gibt es da nicht mehr, Tag für Tag fliehen die Menschen aus dem Land. Meinem Bruder ist es gelungen, mithilfe einer Nachbarin Ninas Tante aufzuspüren.«
»Was hat er erfahren?«, wollte Andrew aufgeregt wissen.
»Sie hat ihm eine Adresse in Moskau gegeben. Es ist ein Wohnhaus auf dem Kolinsky-Prospekt, das Ninas Vater früher gehört hat.«
»Ich weiß. Was noch?«
Schaskow zögerte. »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, Juri.«
»Nun sagen Sie schon, um Himmels willen!«
»Sie hat meinem Bruder erzählt, dass Nina sich von Ihnen hat scheiden lassen.«
»Was?«
»Sie hat gesagt, dass Nina Sie während des Krieges so gut wie nie gesehen hat. Und dass Sie kein guter Ehemann und Vater waren«, sagte Schaskow mitfühlend und verstummte kurz. »Vielleicht wollte sich die Frau nur wichtigmachen. Ich weiß, dass es nicht Ihre Schuld ist. Sie sind ein Opfer des Krieges, wie so viele andere auch. Sie wissen ja, dass Frauen sehr gefühlsbetonte Wesen sind. Mein Bruder glaubt übrigens, dass Nina ein anderes Motiv haben könnte.«
»Welches?«
»Haben Sie es nicht gehört? Lenin sperrt die Familien zaristischer Offiziere ins Gefängnis, um noch mehr Angst und Schrecken zu verbreiten. Vielleicht war die Scheidung ein kluger Schachzug, um einer Verhaftung zu entgehen. Dann hat Ihre Familie wenigstens die Chance zu überleben.«
Andrews Hand zitterte, als er sie ausstreckte. »Darf ich es selbst lesen?«
Schaskow reichte Andrew den Brief, der ihn
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