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Operation Romanow

Operation Romanow

Titel: Operation Romanow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Meade
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erwachte er. Er hatte dröhnende Kopfschmerzen und setzte sich stöhnend im Bett auf.
    Das Fenster war geschlossen, doch die Sonne schien durch die Vorhänge, und Stimmengewirr und Verkehrslärm drangen ins Zimmer. Andrew hörte, dass Madame Bisenko die Treppe wieder hinunterstieg. Er stand auf, streckte sich und betrachtete sich im Spiegel. Seine Augen waren blutunterlaufen und geschwollen, und das hatte einen guten Grund. Gestern hatte er bis ein Uhr in der Nacht in einem der lärmenden russischen Immigrantenklubs in London Wodka getrunken.
    Andrew rasierte sich, wusch sich mit kaltem Wasser und einem Waschlappen und trocknete sich ab. Die Wunden waren verheilt, doch es waren wulstige Striemen auf der Haut zurückgeblieben. Er zog ein Hemd mit offenem Kragen und einen dunklen Anzug aus grobem Tuch an und setzte eine Schirmmütze auf.
    Als er die Treppe hinunterstieg, kochte Madame Bisenko in der Küche Tee. Seine Wirtin war eine freundliche grauhaarige Jüdin aus Minsk mit einem schrillen, mädchenhaften Lachen, die gerne Geige und Poker spielte. Auf einem Teller lagen dicke Scheiben Brot, daneben standen Butter und eine Schale mit hart gekochten Eiern.
    »Guten Morgen, Mr Andrew. Sie sehen heute Morgen ein wenig verkatert aus. Als wären Sie rückwärts durch eine Hecke gezogen worden, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben.«
    »Ich fürchte, ich habe gestern Abend zu viel Wodka getrunken«, erwiderte er lächelnd.
    »Das ist der Fluch der Russen. Aber es gibt ein gutes Gegenmittel – starken schwarzen Tee.«
    Auf der Rückseite des Hauses war ein kleiner Garten mit einem Tisch und Stühlen. Und da es ein schöner Frühlingstag war, würde er draußen frühstücken, sagte er. Andrew ging auf die Terrasse und nahm den Tee, eine Scheibe Brot und zwei hart gekochte Eier mit.
    Die Pension in Whitechapel im Osten Londons wurde von Madame Bisenko und ihrem Gatten geführt, einem kleinen, nervösen Londoner. Er war Kettenraucher und beugte sich immer dem Willen seiner Frau. In der Nachbarschaft wimmelte es von Immigranten: Russen, Balten, Ukrainer und Iren. Harte Männer, die als Arbeiter in Fabriken, Lagerhallen oder im Straßenbau ihr Geld verdienten. Außer Andrew wohnten noch vier andere Männer bei Madame Bisenko.
    Er teilte sein Zimmer mit einem Iren und einem Schotten, die beide im Schichtdienst in einer Waffenfabrik arbeiteten, sodass er sie kaum sah. Die beiden anderen waren Russen, und er war überzeugt, dass mindestens einer von ihnen Anarchist war.
    Obwohl Madame Bisenko ein fröhliches Naturell hatte, fehlte dem Haus mit den verblichenen Tapeten und der abgeblätterten Farbe eine Seele. Aber Andrew war froh, so etwas wie ein Zuhause gefunden zu haben. Im ersten Monat in England war er vollkommen mittellos gewesen und hatte auf Parkbänken und in Gassen schlafen müssen. Er hatte nur eine schmutzige graue Decke besessen, um sich vor der Kälte zu schützen. Auf der Suche nach etwas Essbarem hatte er in den Abfalleimern der Hotels und Restaurants gewühlt oder sich in die Schlange vor den Suppenküchen eingereiht, die von den Immigrantenklubs betrieben wurden.
    Andrew hatte großes Glück und fand in einer Druckerei Arbeit. Mit einem festen Einkommen, der relativen Bequemlichkeit des möblierten Zimmers bei Madame Bisenko und dem Luxus von zwei Mahlzeiten am Tag ging es ihm nun recht gut.
    Sein Chef, Iwan Schaskow, hatte ihm gestern Abend für heute Morgen freigegeben, weil er in letzter Zeit sehr hart gearbeitet hatte, meistens bis zehn Uhr abends. Andrew hatte die Gelegenheit genutzt, um nach Feierabend noch einen der Immigrantenklubs zu besuchen. Er ließ es nicht zur Gewohnheit werden, abends in diese Klubs zu gehen, doch er sehnte sich nach Neuigkeiten aus der Heimat, und diese lärmenden Klubs waren wahre Sammelbecken für Informationen aus aller Welt.
    Andrew saß in der Sonne und fand eine Zeitung von gestern, die jemand auf dem Tisch hatte liegen lassen. Während er seinen Tee trank und das Brot aß, durchblätterte er sie.
    Die Nachrichten, die er dort las, bestätigten die Gerüchte, die er gestern Abend gehört hatte. Lenin klammerte sich verzweifelt an seine Macht. Er hatte zwar mit den Deutschen in Brest-Litowsk einen Friedensvertrag unterzeichnet, aber die deutsche Armee war bereits so weit vorgerückt, dass sie Sankt Petersburg unter Beschuss nehmen konnte. Der Vertrag hatte Russland bislang ein Drittel seiner Bevölkerung – einundsechzig Millionen Menschen – gekostet, und ein Viertel seines

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