Operation Romanow
Lastwagen zurück.
30. KAPITEL
Kreml, Moskau
Jakow hasste den Kreml. Den blutgetränkten Mauern aus dem fünfzehnten Jahrhundert, dem Ort, an dem Iwan der Schreckliche seine Opfer an der ursprünglich hölzernen Einfriedung gerne hatte pfählen lassen, haftete etwas Bedrohliches an.
Er fuhr mit dem grünen Lastwagen auf den großen Platz vor dem Gebäude der Rüstkammer.
Ein Rotarmist erwartete ihn. »Folgen Sie mir, Kommissar Jakow.«
Der Rotarmist stieg Jakow voran eine Granittreppe zu einem gemauerten Torbogen hinauf. Auf einem Platz weiter unten standen eine Reihe von Lastwagen und Geschützen und zahlreiche bewaffnete Wachen der Roten Armee.
Der Soldat öffnete eine Eichentür mit Eisenbeschlägen. »Kommen Sie, Kommissar. Passen Sie auf, der Boden ist glatt.«
Sie betraten einen auf Hochglanz polierten, üppig dekorierten Gang. Der Parkettboden roch nach Desinfektionsmitteln und Wachspolitur, die Wände waren in zartem Türkisblau gestrichen. Läufer in leuchtendem Rot, Marineblau und Gelb mit den Insignien des Zaren lagen noch auf dem Boden. Zwei Soldaten mit Gewehren über den Schultern hielten links und rechts einer anderen Tür am Ende des Ganges Wache.
»Ich vermute, Sie wissen, warum ich hier bin?«, fragte Jakow den Rotarmisten, als sie auf die Tür zugingen.
»Sie fragen den Falschen, Kommissar«, erwiderte er in nüchternem Ton. »Ich habe nur die Aufgabe, Sie dahin zu bringen, wo Sie erwartet werden.«
Die beiden Soldaten gaben die Tür zu einem vornehmen Vorzimmer mit prächtigen Wandteppichen aus der Zarenzeit und einem funkelnden Kronleuchter an der Decke frei. Gemälde, deren Rahmen mit echtem Blattgold belegt waren, schmückten die Wände. In der Mitte der hinteren Wand war eine breite Eichentür, die vom Boden bis zur Decke reichte.
Der Armist streckte eine Hand aus. »Ihre Waffe bitte. Es ist keinem Besucher erlaubt, im Kreml eine Waffe zu tragen. Wenn Sie Glück haben, brauchen Sie nicht lange zu warten.«
Jakow zog den Revolver aus dem Holster und gab ihn dem Rotarmisten, der die Waffe in die Schublade eines Schreibtisches legte.
Fast wie aufs Stichwort sprang die große Eichentür auf, und ein Mann mit hochmütiger Miene betrat den Raum. Er strotzte nur so vor Energie, trug eine schwarze Militäruniform und kniehohe, polierte Stiefel. In der einen Hand hielt er seinen Offiziersstab, in der anderen einen Briefumschlag aus festem Papier. Sein volles, gewelltes Haar, der schwarze Van-Dyke-Bart und die Drahtgestellbrille verliehen ihm das exzentrische Aussehen eines Akademikers.
Jakow stand Leo Trotzki gegenüber, dem Kriegskommissar und Lenins skrupelloser rechter Hand. Er hatte die funkelnden, dunklen Augen eines Fanatikers und strahlte eine Kälte aus, die man beinahe körperlich spüren konnte. Jakow begann in seiner Gegenwart immer leicht zu frösteln.
Er nahm Haltung an und schlug die Hacken zusammen. »Genosse Trotzki.«
»Kommen Sie herein.«
Vom Balkon hatte man eine gute Aussicht auf Moskau. Die großen Balkontüren waren geöffnet, und Trotzki trat hinaus. Er steckte eine Zigarette in einen langen Zigarettenhalter, zündete sie an und nahm einen Zug.
Jakow stellte sich neben ihn. Ein Stück weiter sah er hinter einer Balkontür einen anderen Raum, in dem sich ein glatzköpfiger Mann über Papiere beugte. Er erkannte die unverwechselbare Gestalt Lenins.
»Sie sind ein tüchtiger Mann. Genosse Lenin ist sehr zufrieden mit Ihnen, Jakow. Ich frage mich dennoch, ob Sie der Aufgabe gewachsen sind, die ich Ihnen übergeben will.«
»Genosse Volkskommissar?«
Trotzki hielt den Zigarettenhalter zwischen seinen schlanken, gepflegten Fingern. Er öffnete den Umschlag und reichte Jakow ein Foto. Es war ein Bild des Zaren und seiner Familie, diese Art von Erinnerungsfotos, die vor dessen Abdankung überall an Straßenkiosken und Geschäften verkauft worden waren.
»Soviel ich weiß, war Ihre Frau eine der Ersten, die während des Aufstandes erschossen wurde«, sagte Trotzki. »Was fühlen Sie, wenn Sie das Foto betrachten, Jakow? Hass? Wut? Bitterkeit? Beantworten Sie meine Frage ehrlich.«
»Wenn ich die Kinder und die Frau auf dem Foto sehe, fühle ich nichts. Um das auszudrücken, was ich ihrem Gatten gegenüber empfinde, ist Hass ein zu schwaches Wort. Ich verabscheue ihn.«
»Ich freue mich, das zu hören. Mir persönlich wäre es lieber, wenn der Zar in einem öffentlichen Prozess zum Tode durch den Strang verurteilt würde, aber Genosse Lenin hat andere
Weitere Kostenlose Bücher