Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
der Oberst sich hinter seinem Schreibtisch und trat vor.
Der Hauptmann zeigte ihm seinen Paß, salutierte und verließ den Raum.
Der Oberst lächelte Lukin an. »Genosse Major, nehmen Sie bitte Platz.«
Er führte Lukin zu einem Sessel. »Möchten Sie Tee oder Kaffee? Oder vielleicht Mineralwasser?«
Lukin schüttelte den Kopf. Er warf einen kurzen Blick auf die anderen Offiziere. Sie beobachteten ihn aufmerksam, und er konzentrierte sich wieder auf den Oberst.
»Darf ich erfahren, warum man mich hierher gebracht hat, Genosse?«
Der Oberst warf der Frau einen vielsagenden Blick zu und grinste dann Lukin an.
»Immer mit der Ruhe. Das erfahren Sie noch früh genug.«
Lukin setzte sich und versuchte sich zu entspannen. Aber das war unmöglich. Sein Magen brannte vor Aufregung. Sein Armstummel schmerzte, und die Metallprothese fühlte sich wie ein Eisblock an. Hinten in dem Sis war es eiskalt gewesen, und die Temperaturen draußen lagen noch fünfzehn Grad darunter. In der Ferne hörte er den Glockenturm des Kreml Mitternacht schlagen. Genau in diesem Augenblick flog eine Eichentür auf.
Ein Oberst in der Uniform des KGB stand auf der Schwelle. Hinter ihm flackerte blaues Licht in der Dunkelheit.
Lukin erkannte ihn nicht, aber der Mann wirkte energiegeladen, war groß und breitschultrig, und sein muskulöser Körper spannte die makellose Uniform.
Die kalten blauen Augen funkelten in einem pockennarbigen, brutal aussehenden Gesicht. Lukin bemerkte, daß dem Mann ein Stück des linken Ohrs fehlte. Schwarze Lederhandschuhe steckten unter dem Gürtel seiner Uniformjacke, und er hatte einen kleinen Pappordner unter dem Arm. Es schaute den fetten Oberst an, der mit dem Daumen auf Lukin zeigte.
Der KGB-Oberst richtete den Blick auf Lukin, musterte ihn und winkte ihm dann mit dem Finger. »Hier entlang.«
Lukin stand auf und ging zur Tür.
Das bunte Licht und der starke Tabakgeruch umhüllten ihn sofort. Als die Tür hinter ihm geschlossen wurde, sah Lukin, daß er sich in einem großen, privaten Kino befand. Ein paar Reihen weicher, roter Ledersessel standen vorn, und die Köpfe der Männer, die in den Sesseln saßen, hoben sich scharf gegen die Dunkelheit ab. Lukin sah, daß ein Farbfilm gezeigt wurde.
Er kannte die Schauspieler nicht, vermutete aber, daß es ein amerikanischer Film war. Mädchen in gefransten Kleidern tanzten auf einer Bar, während ein Mann mit einem Cowboyhut sang und dabei Gitarre spielte. Die Szene wirkte lächerlich.
Der Oberst stieß Lukin einen Finger wie einen Schürhaken ins Kreuz.
»Hier rein, Lukin. Und verhalten Sie sich ruhig.« Er deutete auf einen Stuhl in der allerletzten Reihe. »Die Show ist noch nicht vorbei, und der Kreml schätzt es nicht, wenn er bei der Unterhaltung gestört wird.«
Es dauerte eine Weile, bis Lukins Augen sich auf das Halbdunkel eingestellt hatten. In der ersten Reihe saß vielleicht ein halbes Dutzend Männer. Dichter Zigarettenrauch quoll zur Decke, und an der rechten Wand war ein Tisch aufgebaut, auf dem eine Lampe stand, deren gelbliches Licht durch den Schirm auf den Boden gelenkt wurde.
Zwei uniformierte Ordonnanzen standen daneben. Lukin sah die Silbertabletts mit Wodka, Brandy und Mineralwasser. Eine große Schachtel Pralinen stand offen neben einem der Tabletts; daneben war ein riesiger Fruchtkorb zu sehen. Pralle Weintrauben, Orangen, Birnen und rote Äpfel lagen darin. Solche Früchte bekam man im Winter in Moskau selten zu sehen, aber offensichtlich hatte der Kreml keine Probleme mit dem Nachschub dieser teuren Köstlichkeiten.
Ab und zu hob jemand eine Hand, deren schwarze Umrisse sich gegen die Leinwand abzeichneten, und Augenblicke später trat einer der Ordonnanzen an den Tisch, schenkte Erfrischungen ein und legte Pralinen oder Früchte auf ein Tablett.
Zehn Minuten später war der Film zu Ende, und irgend jemand hustete schrecklich. Doch keiner rührte sich, und das Licht blieb ausgeschaltet. Lukin blieb verwirrt sitzen. Er sah,wie der Vorführer, ein uniformierter Hauptmann, eine kleine Lampe anknipste und hastig eine neue Filmrolle einspannte. Dann flackerte es auf der Leinwand.
Diesmal war es ein Stummfilm in Schwarzweiß. Vor einem schwarzen Hintergrund verkündeten weiße Buchstaben: SCHULDIG DER VERBRECHEN GEGEN DAS SOWJETISCHE VOLK UND DEN STAAT.
Die Schrift verblaßte.
Auf der Leinwand erschien ein gepflasterter, verschneiter Hof. Ein halbes Dutzend verängstigter Männer und Frauen wurde im Gänsemarsch herausgeführt
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