Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
Flasche Krimsekt in einem Eiskühler. Berija steckte sich eine Praline in den Mund und kaute.
Der Mann wirkte angsteinflößend und grotesk zugleich. In dem roten Ledersessel sah er aus wie ein Zwerg im Zirkus. Seine Füße baumelten über dem Boden; sie waren groß und wirkten seltsam unproportioniert im Vergleich zum Rest seines Körpers. Auf der grauen Seidenkrawatte funkelte ein Brillant.
»Setzen Sie sich, Lukin.« Berija deutete mit seinen Wurstfingern auf einen Sessel.
Als Lukin Platz genommen hatte, wandte Berija sich an den Vorführer. »Legen Sie den letzten Film ein und gehen Sie.«
Der Mann tat wie befohlen, salutierte und ging eilig hinaus. Die Tür zog er hinter sich zu. »Na, Lukin, fanden Sie unseren letzten Film unterhaltend?« wollte Berija wissen. »Sprechen Sie offen, Major.«
»Er war nicht besonders erfreulich, Genosse Berija.«
Berija lächelte gepreßt. »Trotzdem sind solche Strafmaßnahmen notwendig. Was Sie da gesehen haben, waren verurteilte Schwerverbrecher, Vagabunden, Diebe und gewöhnliche Kriminelle. Also verdienen sie den Tod, finden Sie nicht?«
»Ich bin sicher, daß der Genosse das besser zu beurteilen vermag.«
»Sie sind diplomatisch, Lukin. Das enttäuscht mich. Ich ziehe Aufrichtigkeit vor.«
Berija schnippte mit den Fingern. »Die Akte, Romulka.«
Der Oberst trat vor und reichte dem Mann den Ordner. Berija schlug ihn gelassen auf.
»Ich habe Ihre Akte gelesen, Lukin. Eine sehr interessante Geschichte. Von einem ehemals berühmten Offizier, der in Ungnade gefallen ist.« Er grinste verschlagen und warf einen Blick auf Lukins Hand. »Hätten Sie sich 1944 nicht geirrt, wären Sie heute mit Sicherheit Oberst und hätten Ihre Hand noch.«
»Ich nehme an, es gibt einen Grund für meinen Besuch hier, Genosse Berija?« fragte Lukin unbehaglich.
»Ich bin noch nicht fertig. Alle Berichte bezeichnen Sie als einen der besten Gegenspionage-Offiziere, die wir im Krieg gehabt haben. Sie hatten ein besonderes Talent, feindliche Agenten aufzuspüren, die uns die Deutschen ins Land geschmuggelt hatten.«
»Das ist schon lange her, Genosse Berija.«
»So lange nun auch wieder nicht. Abgesehen davon werden wir mit einigen Talenten geboren. Ich habe gehört, daß die besten Leute in Ihrer Einheit – diejenigen, die die Deutschen aufgespürt haben – ausnahmslos Waisenkinder waren. Stimmt das, Lukin?«
»Das weiß ich wirklich nicht, Genosse.«
»Aber es ist doch ein merkwürdiger Zufall. Zweifellos könnte ein Psychologe etwas Kluges darüber erzählen. Vielleicht eine Leidenschaft nach Suche, das Verlangen, etwas zu finden. Als müßten diese Leute ihre eigene Wahrheit entdecken. Aber Sie, Lukin, waren ihnen himmelhoch überlegen.«
»Diese Zeit liegt lange hinter mir, Genosse Berija. Der Kriegist vorbei, und ich bin nur noch einfacher Polizist. Solche Dinge gehen mich nichts mehr an.«
»Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, Lukin. Sie sind alles andere als einfach, und der KGB verpflichtet keine Idioten.«
»Ich meinte …«
»Vergessen Sie, was Sie gemeint haben«, unterbrach Berija ihn grob und lehnte sich zurück. »Wenn ich Ihnen nun mitteile, daß jemand das Leben unseres glorreichen Genossen Stalin bedroht? Geht Sie das etwas an?«
Lukin starrte erst Berija, dann den Oberst an, der ihnen gegenüberstand. »Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht«, sagte der Major schließlich zum Chef der Staatssicherheit.
Berija deutete auf den KGB-Oberst. »Das ist Oberst Romulka. Er gehört zu meinen persönlichen Untergebenen. Klären Sie Lukin über die Lage auf.«
Romulka verschränkte die Hände hinter dem Rücken und streckte die Brust heraus.
»Vor zwei Stunden ist einer unserer Mig-Abfangjäger auf einem Patrouillenflug von den Radarschirmen des Kontrollturms in Tallinn verschwunden. Wir vermuten, daß der Pilot einen Eindringling in den sowjetischen Luftraum entdeckt hatte. Wir haben drei weitere Migs in den Abschnitt geschickt, in dem die Maschine vermißt wird. Vor einer Stunde wurde das Wrack der Mig auf der vereisten Ostsee gesichtet. Außerdem scheint dort auch das Wrack eines Leichtflugzeuges zu liegen, mit dem die Mig zusammengestoßen ist. Eine Sonderpatrouille ist auf dem Weg dorthin, um den Unfallort zu inspizieren.«
Berija schaute Lukin an. »Nicht so schrecklich interessant, werden Sie vielleicht sagen. Doch nach den Erkenntnissen unseres Geheimdienstes beabsichtigten die Amerikaner, zwei Agenten, einen Mann und eine Frau, nach Moskau
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