Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
warum die Frau verhaftet und in den Gulag geschickt worden war, sowie Informationen über ihre Flucht. Die Vergangenheit der Frau war keine angenehme Lektüre. Sie war die Tochter eines in Ungnade gefallenen hohen Armeeoffiziers. Ihr Ehemann war in einem Lager ums Leben gekommen, und ihre Tochter befand sich in einem Moskauer Waisenhaus.
Die Akte über den Mann war längst nicht so ausführlich. Alexander Slanski, gebürtiger Russe, naturalisierter amerikanischer Staatsbürger. Lukin hatte die kurze Charakterstudie, die das Erste Direktorat des KGB zusammengestellt hatte, mit Interesse gelesen, doch über Slanskis Kindheit in Rußland gab es keinerlei Informationen. Was Lukin wunderte, weil es ihm hätte helfen können.
»Eine Frage, Hauptmann. Wenn Sie ein feindlicher Agent mit Ziel Moskau wären und mit einem Fallschirm abspringen müßten, wie würden Sie dann vorgehen?«
»Ich verstehe die Frage nicht.«
»Welche Route würden Sie einschlagen? Welche Verkleidungen würden Sie benutzen? Wie würden Sie versuchen, dem Feind auszuweichen?«
Der Hauptmann dachte einen Moment nach. »Das kommt darauf an.«
»Worauf?«
»Ob der Feind von meiner Ankunft wüßte.«
»Sprechen Sie weiter.«
»Wenn der Feind es nicht weiß, würde ich die direkte Route nehmen und Vorsichtsmaßnahmen treffen. Ich würde einen Zug auf einer vielbefahrenen Strecke besteigen oder vielleicht ein anderes öffentliches Verkehrsmittel, Bus oder Flugzeug. Ich würde vermutlich nicht in Uniform reisen, weil an solchen Haltestellen Militärangehörige unregelmäßig überprüft werden.«
»Und wenn der Feind von Ihrer Ankunft wüßte?«
Wieder dachte der Hauptmann einen Augenblick nach. »Dann würde ich ein paar Tage abwarten und mit einem öffentlichen Verkehrsmittel eine weniger direkte Route benutzen. Aber ich würde mich verkleiden und versuchen, mich wie ein Ortsansässiger zu verhalten, damit ich keinen Verdacht errege. Sowohl was die Kleidung angeht, als auch das Auftreten und örtliche Gepflogenheiten. Ich würde mich so geben wie die anderen und auch so sprechen.«
Lukin nickte. »Gut. Natürlich können diese Leute nicht wissen, daß ihr Flugzeug abgestürzt ist. Aber wir wollen beide Möglichkeiten in Betracht ziehen. Ich will Kontrollpunkte auf allen größeren und kleineren Straßen, Kontrollen an jedem Bahnhof und Busbahnhof sowie an Flughäfen. An sämtlichen Punkten werden Paßkontrollen durchgeführt. Setzen Sie jeden verfügbaren Mann darauf an. Gesucht wird eine siebenundzwanzigjährige Frau. Aber decken Sie auch die Alterstufen zwischen achtzehn und vierzig ab. Die Beschreibung des Mannes ist weniger hilfreich. Wir wissen nur, daß er Mitte Dreißig ist. Kontrollieren Sie alle Männer zwischen fünfundzwanzig und sechzig. Achten Sie besonders auf die Ausweispapiere. Und denken Sie daran, wie sehr Make-up oder eine Verkleidung das Äußere verändern kann. Die Leute sollen Zivil tragen, keine Uniform. Das erregt nur Aufsehen. Ich will stündliche Berichte. Informieren Sie die örtliche Miliz, daß ich sofort benachrichtigt werde, wenn sich jemand seltsam benimmt oder Fallschirme und andere Ausrüstungsgegenständegefunden werden. Sollte das nichts bringen, beginnen wir mit der systematischen Suche in Abschnitten. Gebiet um Gebiet, Straße um Straße, Haus um Haus.« Lukin reichte dem Hauptmann die Fotos. »Machen Sie Kopien davon, und geben Sie sie den betreffenden Offizieren. Die Bilder sind leider nicht die besten, aber ich habe keine anderen.«
»Jawohl, Genosse Major.«
Der Offizier deutete auf eine Tür zu einem Nebenraum. »Ich habe mir die Freiheit erlaubt, nebenan ein Feldbett für Sie aufzustellen.«
»Danke, Hauptmann. Machen Sie weiter.«
Kaman salutierte und verließ das Zimmer.
Lukin zündete sich eine Zigarette an und ging ans Fenster. Mit dem Finger rieb er einen freien Fleck auf das beschlagene Glas. Einen Moment später sah er den Hauptmann zielstrebig über das verschneite Gelände gehen.
Lukin legte die Stirn ans Glas. Es war so kalt wie Stahl. Hinter der Kaserne sah er die dunklen Wälle der mittelalterlichen Festungsstadt Tallinn, die sich in den dunklen Himmel erhoben. Und durch den weißen Schleier aus Schnee funkelten verstreute Lichter.
Das Treffen mit Berija und die versteckte Drohung beunruhigten ihn. Eines war klar: Er durfte nicht versagen. Was in diesem Fall passierte, konnte er sich lebhaft vorstellen. So wie er Berija einschätzte, verlor er nicht nur sein eigenes Leben, sondern
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