Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
gefährdete vielleicht auch noch das von Nadja. Der Mann war gnadenlos.
Die Exekutionen und das Bild des Mädchens, das so brutal gefoltert worden war, gingen ihm nicht aus dem Kopf. Es war wie ein Alptraum. Männern wie Berija und Romulka bereiteten Folter und Tod Vergnügen.
Aber ihm nicht.
Er erinnerte sich an einen Frühlingstag in einem Wald in der Nähe von Kursk. An das junge deutsche Mädchen, das er in die Enge getrieben hatte. Sie war höchstens achtzehn gewesen und mit dem Fallschirm abgesprungen. Die Abwehr hatte sie in einer letzten, verzweifelten Offensive der Deutschen zur Aufklärung geschickt.
Er hatte sie mit zwei seiner Männer in einem verlassenenHaus im Wald aufgespürt. Sie war verwundet, hilflos und hatte Angst. Lukin war mit gezogener Waffe durch die Hintertür ins Haus eingedrungen, doch beim Anblick ihres kindlichen Gesichts hatte er die Waffe sinken lassen und war unvorsichtig geworden. Die junge Frau hatte erstarrt vor Angst unter ihrem Mantel in einer Ecke gekauert. Sie hatte Lukin an jemanden erinnert, an ein unschuldiges Gesicht von früher. Seine jüngere, vierjährige Schwester hatte denselben ängstlichen Gesichtsausdruck gehabt, als sie mit ihrer zerrissenen Puppe auf der Schwelle gehockt hatte. Die Ähnlichkeit war zwar nicht sehr groß, doch Lukins Zögern kostete ihn beinahe das Leben. Der Feuerstoß aus der Maschinenpistole, die das Mädchen unter dem Mantel versteckt hatte, hätte ihm fast den Arm abgerissen.
Einer seiner Leute hatte das Mädchen erschossen. Zwei Monate, nachdem Lukin sich erholt hatte, war er nach Moskau zurückversetzt worden.
Seit damals war er nicht mehr mit ganzem Herzen bei der Sache.
Aber dieser Auftrag hier war anders. Jetzt hieß es: Finde den Mann und die Frau oder stirb. Mit der Beschreibung und den Informationen, die er besaß, und der Geschwindigkeit, mit der Moskau reagierte, ging Lukin davon aus, daß die ganze Sache schnell vorbei sein würde. Hoffentlich schon bis zur Morgendämmerung. Estland war ein kleines Land und Tallinn eine kleine Stadt. Die Zahl der Orte, wo ein Paar sich verstecken konnte, war sehr klein.
Diesmal durfte er keine Fehler machen.
Töten oder getötet werden, lautete die Devise.
Lukin erschauerte. Ihn erwartete eine lange, kalte Nacht.
32. KAPITEL
Tallinn
25. Februar
In der Küche im hinteren Teil der Schenke war es warm und gemütlich. Der Tisch war gedeckt: Teller mit kaltem, fettigem Fleisch und öligem, gesalzenem Fisch, Ziegenkäse und dunkles Brot. Trotz Gorews Gastfreundschaft wirkte das Essen jedoch wenig appetitlich.
Die Küche sah aus, als hätte sie früher zum Schankraum gehört. Die Wände waren krumm und schief, und unter der Decke verliefen schwere Eichenbalken. Dazwischen hatte jemand Jagdszenen gemalt, und der Putz verschwand unter einer dicken Rußschicht. An der Wand hing ein Foto. Es zeigte Gorew und eine Frau; zwischen ihnen stand ein junger Mann. Gorew schenkte drei Wodka in große Gläser ein, bevor er sich eine Zigarette anzündete.
»Eßt. Die Fische schmecken gut zum Wodka. Genauer gesagt, schmecken sie nur mit Wodka. Der Alkohol tötet den Geschmack. Seit die Russen hier das Sagen haben, ist das Essen saumäßig.«
Er griff auf seinen Teller, nahm ein paar Fische, steckte sie sich mitsamt Kopf und Schwanz in den Mund und spülte sie mit einem Schluck Wodka herunter.
Slanski trank den Wodka, doch weder Anna noch er rührten das Essen an. »Wo haben Ihre Freunde den Wagen und die Uniformen her?«
Gorew lachte. »Der Laster ist aus dem Versorgungsdepot der Roten Armee in Tallinn. Der estnische Widerstand, die Brüder des Waldes, haben die KGB-Uniformen geliefert. Der Offizier und der Unteroffizier, die euch hergebracht haben, sind Wehrpflichtige in der Roten Armee.«
Er sah ihre Mienen und grinste. »Keine Sorge, sie sind auch im Widerstand und absolut vertrauenswürdig. Außerdem versteht Erik sich gut mit dem Quartiermeister. Er hat ihm gesagt, er hätte gern einen Lastwagen, um zu einer Verabredung mit seiner Freundin nach Parnu zu fahren. Für eineKiste gutes estnisches Bier hat der Quartiermeister sich bestechen lassen.«
»Vertrauen Sie ihm?«
»Dem Quartiermeister?«
»Nein. Erik.«
Der Wirt wirkte beleidigt. »Machen Sie sich wegen der Einheimischen hier in der Gegend keine Sorgen, mein Freund. Sie hassen die Russen aus ganzem Herzen. Das halbe Land trauert um Familienangehörige, die von den Mistkerlen erschossen oder nach Sibirien verschleppt worden sind.«
»Und
Weitere Kostenlose Bücher