Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
Wodkaflascheauf. Er trank einen Schluck und reichte die Flasche dann Anna. »Hier, laß ein bißchen Sonne in dein Herz.«
Sie nippte an der Flasche. Slanski beobachtete sie und sagte dann unvermittelt: »Erzähl mir von Stalingrad.«
»Warum willst du das wissen?«
»Nur so, aus reiner Neugier.«
Sie richtete den Blick auf die Wipfel der Bäume. »Es war schrecklich. Unvorstellbar grausam. Die Haus-zu-Haus-Kämpfe. Die endlosen Tage und Nächte ohne Schlaf. Die beißende Kälte. Und immer dachte man nur daran, ob man am nächsten Tag etwas zu essen bekam oder ob man starb. Das Bombardement war das Schlimmste. Der Lärm dauerte Monate und hielt Tag und Nacht an. Es war so schlimm, daß die Hunde sich in der Wolga ertränkten, weil sie es nicht mehr aushielten.« Sie zögerte. »Aber es hat mich gelehrt, zu überleben. Nach Stalingrad gibt es nicht mehr viel, was dir Angst einjagen könnte.«
»Woran glaubst du, Anna?« fragte Slanksi ruhig.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe aufgehört, an irgend etwas zu glauben, nachdem man mir meine Tochter weggenommen hat.«
»Du hast mir nie gesagt, wie Massey sie herausholen will.«
»Auf demselben Weg, auf dem er mich rausschmuggeln will, wie immer das gehen soll. Aber erst mal muß er das Waisenhaus finden, in dem meine Tochter ist. Stalin hat sehr, sehr viele Kinder zu Waisen gemacht; deshalb gibt es unzählige Waisenhäuser in Moskau. Jake meinte, es würde einige Zeit kosten, Sascha zu finden. Einigen dieser Kinder gibt man oft neue Namen, damit sie ihre Herkunft und ihre Eltern vergessen. Aber er hat mir versprochen, daß er nicht versagen wird.« Sie hielt inne. »Und du? Woran glaubst du?«
Slanski ließ den Blick liebkosend über Annas Figur schweifen und lächelte schwach.
»Davon mal abgesehen«, meinte Anna. »Oder glaubst du an nichts? Aber wenn das so ist, was würde dich dann erfreuen?«
Er dachte lange nach, und seine Miene wurde ernst. »Was mich erfreuen würde? Wieder durch den Garten meines Vaters gehen zu können, den Duft der Apfelbäume und derKirschblüten zu riechen. Wieder mit meinen Eltern, meinem Bruder und meiner Schwester zusammenzusein.«
»Du bist ein merkwürdiger Mensch, Alex.«
»Inwiefern?«
»Du bist ein Killer. Und doch sprichst du vom Duft der Apfelbäume und der Gärten. Vielleicht bist du bloß ein typischer Russe und wirst sentimental, wenn du Wodka trinkst und über eine Erinnerung redest, die nie mehr zum Leben erweckt werden kann.«
Er lachte. »Vielleicht traue ich dir auch nur genug, um dich näher an mich heranzulassen.«
Jetzt erst bemerkte sie die Weichheit in seinem Blick, und als er ihr die Flasche hinhielt, schüttelte sie den Kopf.
»Ich habe schon genug getrunken. Noch ein Schluck mehr, und du mußt mich zurücktragen.«
Als Slanski den Blick über die Stadt schweifen ließ, musterte Anna verstohlen sein Gesicht. Seine Worte hatten ihn offenbar berührt. Er weinte zwar nicht, doch sein Mund war verkniffen und sein Blick abwesend, als wäre das, was er über seine Vergangenheit gesagt hatte, zu schmerzhaft, um sich daran zu erinnern.
Sie wickelte sich den Schal straffer um den Hals und stand auf. »Ich glaube, wir müssen zurück. Gorew wird sich Sorgen machen.«
»Anna …« Slanski blickte zu ihr hoch.
»Was?«
»Bereust du, was gestern nacht passiert ist?«
Sie dachte einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf. »Nein, ich bereue nichts.« Sie strich ihm sanft mit dem Finger über den Mund. »Es ist schon lange her, seit jemand mich in den Armen gehalten hat. Seit ich mich sicher und begehrenswert gefühlt habe.«
»Hast du mich denn auch begehrt?«
»Vielleicht wollte ich dich schon von dem Tag an, als ich dich das erste Mal gesehen habe. Ich wollte es nur nicht zugeben.«
Sie lächelte. »Frauen sind manchmal so, weißt du. Es ist eine Art närrischer Stolz.«
Er stand auf und küßte sie. »Also hältst du mich wirklich für verrückt, ja?«
In dieser Frage lag eine kindliche Unschuld, was ein sehr zärtliches Gefühl in Anna erweckte. Sie lächelte schwach.
»Vielleicht ein kleines bißchen. Aber letztlich sind wir Russen alle ein bißchen verrückt.«
34. KAPITEL
Gorew blickte von Slanski zu Anna, als er mit bleichem Gesicht in ihrem Schlafzimmer saß. Der Wirt hatte sie sofort nach ihrer Rückkehr nach oben geschleust.
»Ich habe schlechte Nachrichten. Ich hatte Besuch vom örtlichen Milizsergeanten.«
»Was wollte er?« fragte Slanski beunruhigt.
»Er wollte das Gästebuch
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