Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
Verkehr. Slanski nahm Annas Hand, als sie die lange, überfüllte Allee entlangmarschierten. Es fing an zu schneien, und um sie herum herrschte heilloses Chaos, Lärm und Gedränge.
Weit hinter ihnen erhoben sich die Alexandersäule vor dem Winterpalast und die Kuppel der wunderschönen St.-Isaak-Kathedrale in den Himmel. Die Kanäle, die den Newski-Prospekt kreuzten, säumten zitronengrüne Gebäude aus der Zarenzeit, die aus dem Schneetreiben hervorstachen. Sie brachten ein bißchen Farbe in das vorherrschende Grau. Überall auf den Straßen standen noch Ruinen aus dem Krieg; manche wurden von mächtigen Holzbalken gestützt. Diese Hausruinen zeugten von der fast dreijährigen Belagerung, die fast die halbe Stadt zerstört und mehr als eine halbe Million Einwohner das Leben gekostet hatte.
Über den Newski-Prospekt war ein Banner gespannt, das einen strahlenden Josef Stalin zeigte. Er lächelte auf den Verkehr hinunter, der unter ihm vorbeirollte. Laster und Personenwagen, Busse, Handwagen und Straßenbahnen. Viele deutsche Fahrzeuge waren darunter, BMWs, Volkswagen und Opel, die von den besiegten Nazis erbeutet oder stehengelassen worden waren.
Slanski warf einen kurzen Blick auf das Banner, das Stalin zeigte, und wandte sich dann Anna zu, während sie sich nebeneinander durch die Menge kämpften. Sie war erschöpft und blaß, und ihre Augen verrieten die Anspannung und Anstrengungen der letzten Stunden.
Sie hatten den Emka zehn Kilometer vor Leningrad in einer Seitenstraße der Vorstadt Udelnaja stehenlassen. Mit dem Bus waren sie bis an den Stadtrand gefahren und hatten dann denRest des Weges mit einer der gelben Straßenbahnen zurückgelegt. Nach nur einer Stunde hatten sie das Zentrum von Leningrad erreicht.
Die Fahrt vom Wald bis hierher hatte fast drei Stunden gedauert. Sie hatten sich an kleinere Straßen gehalten, waren dafür aber an keinem Kontrollpunkt angehalten worden. Niemand hatte ihnen auch nur die geringste Aufmerksamkeit geschenkt, und auch jetzt achtete keiner auf die beiden, als sie den Newski-Prospekt entlangspazierten.
Als sie den Bahnhof erreichten, von wo aus der Zug nach Moskau ging, suchte Slanski ein Münztelefon und wählte eine Nummer.
Der Mann mit dem hageren Gesicht stellte drei Wodkagläser auf den schäbigen Tisch.
Er kippte das erste auf einen Zug hinunter und musterte die Frau und den Mann, bevor er sich mit dem Ärmel den Mund abwischte.
»Trinken Sie. Sie werden es brauchen.«
Der Mann war um die Vierzig, und in seinem dunklen, schmalen Gesicht war keine Spur von Nervosität zu erkennen.
Er war ein ukrainischer Nationalist, der nach dem Krieg als Flüchtling in Paris gelebt hatte. Dort hatte er als Fotograf gearbeitet, bis die Amerikaner ihn mit einer falschen Identität nach Rußland zurückgeschickt hatten. Jetzt galt er als ein ehemaliger Kriegsgefangener, den die vorrückenden Alliierten in der Nähe von Göttingen befreit hatten. Nachdem er mit Hunderten anderer sowjetischer Soldaten ausgeliefert worden war, hatte der KGB ihn monatelang brutal verhört. Und als der Mann dies alles überstanden hatte, schickte man ihn zwei Jahre in die Gulags, weil er sich von den Deutschen hatte erwischen lassen.
Der Rest war das reinste Kinderspiel.
Er fand Arbeit in einem Fotostudio und machte schmeichelhafte Porträtaufnahmen von den höheren Offizieren der Leningrader Marineakademie. Die Männer waren von seinem Können so begeistert, daß sie sogar mit Freunden undFamilienangehörigen zu ihm kamen. Ab und zu schoß er auch Fotos, die diese Männer und deren Kameraden in ihren Marineuniformen zeigten.
Jeden Monat lieferte er Abzüge und interessante Biographien an einen Agenten der Emigrationsbewegung in Leningrad. Der wiederum reichte sie an das Emigrationsbüro in Paris weiter, und schließlich landeten die Fotos bei den Amerikanern.
Es war ein gefährlicher Job. Doch auf diese Weise konnte er den Kommunisten heimzahlen, was sie seinem Land angetan hatten.
Er hatte sich eine Stunde nach Slanskis Anruf in seinem Studio im Sommergarten in der Nähe des Winterpalastes mit Anna und Slanski getroffen. Nach einer längeren Rundfahrt mit der Straßenbahn – wodurch sie mögliche Verfolger abschütteln wollten –, waren sie schließlich zu dem Mann nach Hause gefahren. Seine Wohnung lag in einem verwahrlosten Gebäude am Moika-Kanal, in der Nähe des Newski-Prospekts.
Es war eine trostlose Wohnung mit abblätternden Tapeten und schäbigem Mobiliar. Sie lag im zweiten Stock
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