Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
einer Bedingung«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Ich treffe die endgültige Entscheidung, ob die Frau dabei ist oder nicht. Sorgen Sie dafür, daß ich sie kennenlerne, sobald sie sich entschieden hat.«
»Glauben Sie wirklich, daß Sie es nach nur einer Begegnung entscheiden können?«
Slanski drehte sich um. »Ich glaube, daß ich lange genug im Geschäft bin.« Seine Stimme klang scharf. »Vielleicht sogar zu lange. Man lernt, auf den ersten Blick die Spreu vom Weizen zu trennen. Wenn ich glaube, daß sie Ärger bringt, suchen Sie mir jemand anders.«
Massey dachte darüber nach. »Das entscheiden wir, wenn es soweit ist.« Er nahm den Ordner, den er Slanski gezeigt hatte. »Diese Operation hat einen Kodenamen: Schneewolf. Leider muß ich den Ordner behalten. Die Akte ist streng geheim. Nur Sie, ich und die Leute ganz oben bekommen ihn zu Gesicht. Wir beide gehen die Einzelheiten später durch, damit es keine Fehler gibt. Aber den Ordner behalte ich.«
Er steckte ihn wieder in die Aktentasche und holte einen zweiten heraus, den er auf den Tisch legte und aufschlug. Auf diesem Ordner stand mit blauer Tinte ›Josef Stalin‹.
»In der Zwischenzeit sollten Sie lieber das hier lesen.«
Slanski nahm den Ordner in die Hand. »Was ist das?«
»Darin steht alles, was wir über Stalin wissen. Herkunft, Charakter, Schwächen und Stärken. Selbst medizinische Informationen. Außerdem seine gegenwärtigen Sicherheitsvorkehrungen,soweit wir sie überprüfen konnten. Die Grundrisse des Kremls und der Datschas, die er benutzt. Lesen Sie alles sorgfältig. Das ist kein gewöhnlicher Auftrag, Alex. Sie unternehmen den Versuch, den Teufel höchstpersönlich kaltzumachen. Sie kennen die Regel: Lerne deinen Feind so gut kennen wie dich selbst. Ich muß sicher nicht darauf hinweisen, daß Sie diese Akte niemandem zeigen dürfen. Und vernichten Sie sie, wenn Sie sich alles eingeprägt haben, was Sie wissen müssen.«
Slanski lächelte gezwungen. »Falls nichts mehr dazwischenkommt, bleibt wohl nur noch eine Frage.«
»Und die wäre?«
»Wann gehe ich rüber?«
»In genau einem Monat.«
13. KAPITEL
New York
26. Januar
Das rote Sandsteinhaus auf der East Side zwischen der achtundvierzigsten und neunundvierzigsten Straße wirkte ein wenig heruntergekommen. Eine kleine Treppe führte zu einer Haustür, von der die Farbe abblätterte. Aus dem alten Manhattan-Stadthaus hatte man ein Mietshaus mit billigen Wohnungen gemacht. Zwei puertorikanische Kinder spielten auf dem müllübersäten Bürgersteig Softball. Massey ließ sich vom Taxifahrer am Ende des Blocks absetzen und ging ein Stück zu dem Getränkeladen auf der anderen Straßenseite zurück.
Während er darauf wartete, daß der alte Mann hinter dem Tresen die Flasche einwickelte, warf er einen Blick aus dem Fenster.
Sie trug einen weißen Regenmantel und einen blauen Schal und hatte Lebensmitteltüten in den Händen. Massey trat aus dem Geschäft, als sie die Treppe hinaufging und die Tür aufschloß.
Er gab ihr zwei Minuten Vorsprung und überquerte dann die Straße. Die Wohnung lag ganz oben. Kaum hatte Massey geklopft, öffnete die Frau auch schon.
Den Regenmantel hatte sie ausgezogen und stand jetzt in einem einfachen, schwarzen Kleid vor ihm. Ihr dunkles Haar war hochgesteckt, und ihre großen dunklen Augen blickten ihn ungläubig an.
»Hallo, Anna.«
Sie zögerte einen Moment, dann lächelte sie strahlend. »Massey …!«
»Sie sind überrascht?«
»Ich hätte nicht gedacht, daß ich Sie wiedersehe.«
Sie nahm seine Hand, zog ihn in die Wohnung und schloß die Tür. Es war eine Einzimmerwohnung mit einem Bett, einem Tisch und zwei wackligen Stühlen. Eine kleine Kochnische ging von dem Raum ab. Massey sah die Kochplatte und das Geschirr auf dem Abtropfsieb. Eine andere Tür führte ins Bad. In einer Vase am Fenster standen Winterrosen, und vom Fenster aus hatte man einen Blick auf den Schnapsladen unten auf der Straße sowie auf Brooklyn und Queens.
Die Wohnung war nicht gerade luxuriös, aber Massey vermutete, daß Anna nach ihren Erfahrungen im Gulag auch mit weniger zufrieden gewesen wäre. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, sich hübsch einzurichten, aber nirgends hingen Familienfotos. Das stimmte Massey traurig, weil er sich denken konnte, wie einsam Anna sich fühlen mußte.
Er reichte ihr ein Paket mit braunem Einwickelpapier. »Das ist für Sie.«
Sie lächelte, und die Überraschung hellte ihr Gesicht auf. »Ich verstehe nicht … Was ist
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