Operation Zombie
den »Rebellen«, den »Aufsässigen«, der stolz abseits der Masse steht. Für Sie ist Individualität ein Ehrenzeichen. Für uns ist sie ein Schandmal. Wir lebten, besonders vor dem Krieg, in einem endlosen Labyrinth externer Urteile. Wie man aussah, wie man redete, von der beruflichen Laufbahn bis zu der Art, wie man sich schnäuzte, musste alles so geplant und einstudiert werden, dass es im Einklang mit der strengen konfuzianischen Doktrin stand. Manche besitzen entweder die Kraft, oder ihnen mangelt es genau daran, um diese Doktrin zu akzeptieren.
Andere, so wie ich, bevorzugten das Exil in einer besseren Welt. Diese Welt war der Cyberspace, und der war geradezu maßgeschneidert für japanische Otaku. Ich kann nichts zu Ihrem Bildungssystem sagen, auch nicht zu denen anderer Länder, aber unseres basierte fast ausschließlich auf der Absorption von Fakten. Vom Tage ihrer Einschulung an wurden japanische Kinder vor dem Krieg mit Bänden von Fakten und Daten vollgestopft, die keinerlei praktischen Nutzen in unserem Leben hatten. Diese Fakten besaßen keine moralische Komponente, keinen sozialen Kontext, keinerlei Bezug zur Außenwelt. Sie hatten keine andere Existenzberechtigung als die, dass ihre Beherrschung einen Aufstieg ermöglichte. Vor dem Krieg lehrte man die Kinder in Japan nicht denken, sondern auswendig lernen. Sie werden sicher begreifen, wie dieses Bildungssystem zwangsläufig zu einer Existenz im Cyberspace führte. In einer Welt von Informationen ohne Zusammenhang, wo der Status von Aneignung und Besitz eben dieser Informationen abhing, konnten die Angehörigen meiner Generation wie Götter herrschen. Ich war ein Sensei, Meister über alles, was ich sah, ob ich nun die Blutgruppe aller Mitglieder im Kabinett des Premierministers herausfand oder die Steuerbescheide von Matsumoto und Hamada fand, oder die Position aller Shin-gun-to-Schwerter im Pazifikkrieg. Ich musste mich weder um mein Aussehen noch um meine gesellschaftliche Etikette, meine Zensuren oder meine Zukunftsaussichten kümmern. Niemand konnte über mich urteilen, niemand konnte mir wehtun. In dieser Welt war ich mächtig, aber noch wichtiger, ich war sicher! Als die Krise Japan erreichte, vergaß meine Clique, wie alle anderen, ihre früheren Obsessionen und konzentrierte ihre gesamte Energie auf die lebenden Toten. Wir studierten ihre Physiologie, ihr Verhalten, ihre Schwächen und die weltweiten Reaktionen auf ihre Angriffe gegen die Menschheit. Das letzte Thema war das Spezialgebiet meiner Clique, die Möglichkeit einer Eindämmung innerhalb der japanischen Inseln. Ich sammelte Informationen über Bevölkerungsstatistiken, Transportnetzwerke, Polizeidoktrin. Ich prägte mir alles ein, von der Größe der japanischen Handelsflotte bis dahin, wie viel Schuss Munition das Gewehr Typ 89 der Armee fassen konnte. Kein Sachverhalt schien mir zu unbedeutend oder obskur. Wir hatten eine Mission, wir schliefen kaum. Als die Schulen schließlich geschlossen wurden, hatten wir die Möglichkeit, uns fast vierundzwanzig Stunden täglich einzuloggen. Ich hackte mich als Erster in Doktor Komatsus private Festplatte und las die Daten eine ganze Woche, bevor er sie dem Parlament vorlegte. Das war ein genialer Coup. Mein Ansehen unter denen, die mich ohnehin schon bewunderten, stieg noch weiter.
Doktor Komatsu war der Erste, der eine Evakuierung vorschlug?
So ist es. Er hatte dieselben Fakten zusammengetragen wie wir. Doch wo ich sie nur auswendig gelernt hatte, hatte er sie analysiert. Japan war eine übervölkerte Nation: hundertachtundzwanzig Millionen Menschen zusammengepfercht auf nicht einmal dreihundertsiebzigtausend Quadratkilometern, entweder bergigen oder zugebauten Inseln.
Wegen seiner geringen Verbrechensrate hatte Japan eine der kleinsten und am leichtesten bewaffneten Polizeieinheiten der industrialisierten Welt. Außerdem war Japan ein weitgehend entmilitarisierter Staat. Auf Grund des amerikanischen »Protektorats« hatten unsere Truppen seit 1945 nicht mehr kämpfen müssen. Selbst die Soldaten, die man in den Golfkrieg schickte, wurden so gut wie nie in Gefechte verwickelt und verbrachten die meiste Zeit in den geschützten Mauern ihrer jeweiligen Stützpunkte. Wir hatten Zugang zu all diesen Informationen, aber nicht den Grips, um zu begreifen, welche Schlüsse man daraus ziehen musste. Daher waren wir alle völlig überrascht, als Doktor Komatsu öffentlich verkündete, die Situation wäre hoffnungslos
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