Operation Zombie
einem T-Shirt darunter. Sie strengten sich an, ihnen wurde warm, sie zogen die Mäntel aus. Ihre Körper waren schweißgebadet, und das Baumwollzeug hielt die Feuchtigkeit fest. Wind kam auf... in diesem ersten September wurden eine Menge Leute krank. Erkältungen und Grippe. Sie steckten uns andere an. Am Anfang waren noch alle freundlich. Wir arbeiteten zusammen. Wir tauschten oder kauften von anderen Familien, was wir brauchten. Geld besaß noch einen gewissen Wert. Alle glaubten, dass die Banken bald wieder öffnen würden. Wenn Mom und Dad sich auf die Suche nach etwas Essbarem machten, ließen sie mich immer in der Obhut von Nachbarn. Ich besaß ein kleines Survival-Radio, das man durch eine Kurbel mit Energie versorgen konnte, daher konnten wir jeden Abend die Nachrichten hören. Sie brachten nur Meldungen über den Rückzug, dass die Armee die Menschen im Stich ließ. Wir hörten es uns mit den Straßenkarten der USA in den Händen an und zeigten auf die Städte und Orte, von denen die Berichte kamen. Ich saß auf Dads Schoß. »Schau her«, sagte er, »die sind nicht rechtzeitig rausgekommen. Die waren nicht so schlau wie wir.« Er versuchte ein gezwungenes Lächeln. Kurze Zeit glaubte ich, dass er Recht hatte. Aber nach dem ersten Monat, als die Lebensmittelvorräte zu Ende gingen und die Tage kälter und dunkler wurden, da wurden die Leute gemein. Keine gemeinsamen Lagerfeuer mehr, kein Kochen und Singen. Das Lager wurde zu einem Saustall, niemand entsorgte mehr seinen Müll. Ein paar Mal trat ich in menschliche Scheißhaufen. Niemand machte sich mehr die Mühe, sie zu vergraben. Ich wurde nicht mehr bei Nachbarn gelassen, meine Eltern trauten niemandem mehr. Die Lage wurde gefährlich, man sah viele Schlägereien. Ich sah zwei Frauen, die sich um einen Pelzmantel stritten und ihn in der Mitte entzweirissen. Ich sah einen Mann, der einen anderen Mann dabei erwischte, wie der etwas aus seinem Auto stehlen wollte, da schlug er ihm mit einer Brechstange den Schädel ein. Vieles spielte sich nachts ab, schlurfende Schritte und Schreie. Ab und zu hörte man einen Gewehrschuss und jemanden weinen. Einmal hörten wir jemanden vor dem behelfsmäßigen Zelt herumschleichen, das wir über dem Minivan aufgebaut hatten. Mom sagte mir, dass ich mich ducken und mir die Ohren zuhalten sollte. Dad ging hinaus. Ich hörte Gebrüll, obwohl ich die Hände auf den Ohren hatte. Dads Gewehr ging los. Jemand schrie. Dad kam mit aschfahlem Gesicht wieder herein. Ich habe ihn nie gefragt, was passiert ist. Es versammelten sich nur noch alle, wenn einer der Toten aufkreuzte. Das waren die, die der dritten Flüchtlingswelle gefolgt waren, allein oder in kleinen Rudeln. Kam alle paar Tage einmal vor. Jemand gab Alarm, dann zogen alle los, um sie zu erledigen. Und kaum war das getan, fielen wir wieder übereinander her. Als es so kalt wurde, dass der See zufror, als sich keine Toten mehr blicken ließen, dachten viele Leute, jetzt wäre es sicher und sie könnten versuchen, nach Hause zu laufen.
Laufen? Nicht fahren?
Kein Benzin mehr. Sie hatten alles zum Kochen oder für die Standheizungen der Autos verbraucht. Jeden Tag sah man Gruppen halb verhungerter, zerlumpter Gestalten, die mit dem nutzlosen Ballast beladen waren, den sie mitgebracht hatten, alle mit denselben Mienen verzweifelter Hoffnung.
»Was denken die sich bloß?«, fragte Dad. »Wissen die nicht, dass es weiter südlich nicht kalt genug geworden ist? Wissen die nicht, was sie da unten immer noch erwartet?« Er war überzeugt, dass früher oder später alles besser werden würde, wenn wir nur lange genug durchhielten. Das war im Oktober, als ich immer noch wie ein menschliches Wesen aussah. [Wir kommen zu einem Haufen Knochen, es sind so viele, dass man sie nicht zählen kann. Sie liegen in einer Grube und sind halb mit Eis bedeckt.] Ich war ein ziemlich dickes Kind. Sport habe ich nie getrieben und lebte von Fast Food und Snacks. Als wir im August eintrafen, war ich nur unwesentlich dünner. Im November sah ich aus wie ein Skelett. Mom und Dad erging es nicht viel besser. Dads Bauch war verschwunden, Mom hatte ganz spitze Wangenknochen. Sie stritten sich oft über alles und jedes. Das machte mir mehr Angst als alles andere. Zu Hause hatten sie die Stimmen nie erhoben. Sie waren Schullehrer, »Progressive«. Ab und an herrschte einmal eine gespannte Atmosphäre beim Abendessen, aber nichts Derartiges. Sie gingen bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufeinander los.
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