Opernball
der Staatspolizei, die für den Personenschutz beim Opernball verantwortlich war. Das war von vornherein eine schwierige Aufgabe, denn ETV hatte ja Gott und die Welt geladen. Schon Monate vorher wurde hinausposaunt, welche Prinzessinnen, Filmschauspielerinnen und geschiedenen Milliardärsgattinnen kommen würden. Über die politischen Gäste wurde eisern geschwiegen. Aber dann, etwa zehn Tage vor dem Opernball, wurde die Information einer Zeitung zugespielt. Am Abend der Aufmacher: »Alessandra Mussolini und Jacques Brunot beim Opernball«. Von da an ging es los. Das gab den angekündigten Demonstrationen den richtigen Zündstoff. Alessandra Mussolini war der aufsteigende Star in Italien. Jacques Brunot, der Sohn eines Champagner-Millionärs aus Reims, feierte sensationelle Wahlerfolge mit seiner Neuen Rechten Aktion in Frankreich. Die Zeitungen schrieben nur noch über dieses Gipfeltreffen rechter Führer beim Opernball. Ein Blatt verlangte allen Ernstes, um des inneren Friedens willen der Duce-Enkelin die Einreise zu verweigern. Vielleicht haben Sie das mitbekommen. So weit waren wir schon. Anstatt die Demonstrationen zu verbieten, wollten sie den Gästen verbieten, zum Opernball zu kommen.
Gegen den Opernball hatte es seit Jahren Demonstrationen gegeben. Die beiden Ereignisse gehörten zusammen wie Winter und Schnee. Kaum hatte die Opernballdame den Termin bekanntgegeben, wurde auch schon die Demonstration angemeldet. Es hat ein paar Jahre gegeben, da haben die Chaoten den unsrigen ziemlich zu schaffen gemacht. Mit Demonstrationen hatte das nichts mehr zu tun, das waren Krawalle, Anarchie war das. Ich war damals noch Polizeischüler. Ich erinnere mich gut, je näher der Opernball kam, desto nervöser wurden unsere Kursleiter. Sie erzählten von ihren Demonstrationserfahrungen in den sechziger und siebziger Jahren, von ihrem Kampf gegen steinewerfende Horden, von einer Winterschlacht gegen die Besetzer eines Auwaldes. Sie zeichneten Pläne auf die Tafel, entwarfen Strategien, erklärten uns, was getan werden müßte, aber leider politisch nicht durchsetzbar sei. Schon in der Ausbildung ist mir klargeworden, daß die Polizei, wenn es darauf ankommt, von den Politikern im Stich gelassen wird. Die Politiker kamen zu uns in die Ausbildungskaserne und erzählten uns, wie stolz sie auf uns seien.
»Ihr seid das Rückgrat der Gesellschaft«, sagten sie. »Das eherne Band der demokratischen Ordnung.«
»Der Garant der Freiheit.«
»Die Schutzmacht des demokratischen Rechts.« So redeten sie. Aber nur zu uns. Kaum hatten sie die Kaserne verlassen, war dergleichen nicht mehr von ihnen zu hören. Natürlich gab es Ausnahmen. Jup Bärenthal zum Beispiel. Er hat immer zu uns gehalten. Er hat uns immer und überall verteidigt. Hofrat Franz Leitner, damals unser oberster Polizeijurist, hat versucht, ihn von der Teilnahme am Opernball abzuhalten. Das sickerte zu uns durch. Wir waren damals empört. Heute muß ich sagen: Wäre Leitner nur erfolgreich gewesen. Jup Bärenthal war die politische Hoffnung unseres Landes. Auch wenn die Nationale Partei heute den Innenminister stellt, einen Führer wie Jup Bärenthal wird sie nicht mehr bekommen.
Mein letztes Ausbildungsjahr war zugleich mein erstes Opernballjahr. Es war sozusagen unsere erste Feindberührung. Die Chaoten haben uns von Anfang an herausgefordert. Die wollten nicht demonstrieren, die wollten sich mit uns schlagen und sonst gar nichts. Es waren bei weitem nicht so viele wie in den Jahren davor, doch sie waren unerbittlich. Sie hatten keine Chance, aber meinen Sie, die hätten nachgegeben?
Plötzlich ließ der Druck nach. Am Anfang haben wir gar nicht recht gewußt, was auf einmal los ist. Ganz hinten in den Reihen der Chaoten gab es Tumulte und Schreie. Wir bekamen das Kommando zum Rückzug. Dann erst wurde uns klar, daß uns da eine Gruppe Jugendlicher zu Hilfe gekommen ist. Die hat nicht uns angegriffen, sondern die Chaoten. Die hat mehr oder weniger für uns die Arbeit erledigt. Unsere Verteidiger, wenn ich das so sagen darf, waren nicht zimperlich. Sie sind mit Baseballschlägern und Ketten angerückt. Was sie hinterlassen haben, war nicht schön. Als wir eingreifen wollten, weil es zu arg wurde, zogen sie sich zurück.
Es hat danach Stimmen gegeben, die haben behauptet, wir hätten Nazibuben geschützt. Das stimmt nicht. Niemanden haben wir geschützt. Leider hat es damals viele Verletzte gegeben. Zum Glück nicht auf unserer Seite.
Danach kam diese
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