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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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den Wein immer besonders kalt, so um die fünf Grad, was uns früher vor allem in der warmen Jahreszeit erhebliche Scherereien gemacht hat. Doch dann waren wir, auf Anraten und mit schriftlicher Befürwortung der beiden Offiziere, auf die segensreiche Idee gekommen, beim Oberinspektorat ein Ansuchen um einen Kühlschrank einzubringen. Der Amtsarzt, so schrieben wir als Begründung, gerate bei der Überprüfung unserer Gefängniszelle regelmäßig in Verlegenheit, weil wir ihm keine Möglichkeit bieten könnten, das Methadon und andere Medikamente kühl zu lagern. Diese Begründung war für das Oberinspektorat über jede Rückfrage erhaben. Wir wurden lediglich auf irgendeine Landesverordnung hingewiesen, derzufolge die Kühlung von Medikamenten in geschlossenen Behältnissen zu erfolgen habe. So bekamen die beiden Kontrollorgane, die uns den guten Tip gegeben hatten, seither ihren Burgschleinitzer Kabinett genau so kalt, wie sie ihn wollten – und selbstverständlich in geschlossenen Behältnissen. Aber das ist eine andere Geschichte. Der gekühlte Wein änderte jedenfalls nichts daran, daß die Herren in einem Punkte sehr streng blieben: Die Listen mußten stimmen. Wer zum Streifendienst eingeteilt war, durfte sich nicht grundlos in der Wachstube aufhalten. Aber solange unser Geburtstagstrio auf den Zementsäcken saß, gab es immer noch ein Protokoll zu schreiben oder eine Anzeige zu erstatten.
    Es war ein spannendes Rennen. Jedesmal, wenn ein Schweizer eine gute Zeit fuhr, war der Journaldienst so aufgebracht, daß er hinausging, um die vor sich hin lümmelnden Kojoten wieder in eine ordentliche Sitzhaltung zu bringen. Die Medikamente hatten wir ihnen abgenommen. Es war die übliche Wiener Mischung, rezeptpflichtig zwar, aber nicht strafbar nach dem Suchtgiftparagraphen. Ein Schifahrer stürzte und rutschte aus unerfindlichen Gründen unter der elastischen Pistenabsperrung durch, hinein in einen unpräparierten Steilhang. Ich sehe das heute noch vor mir. Obwohl er die Schier längst verloren hatte, hob er noch einmal ab und segelte mit erstaunlichem Tempo durch die Luft, schlug neben einer Almhütte auf, radierte den steilen Grashang hinab, durchpflügte eine Dreckmulde, überschlug sich noch dreimal, bis er sich schließlich in einem steinigen Latschenhain verfing.
    »Tadellos«, sagte der Journaldienst, sprang auf und lief hinaus. Wir hörten ihn ein paarmal schreien: »Wißt ihr wofür?«
    Dann knallte es wieder. Als er zurückkam, hörten wir, daß ihm die Frau etwas nachbrüllte.
    »Hat die jetzt wirklich Nazischweine geschrien?« fragte er uns. Er war in der Tür stehengeblieben und horchte. Erneut schrie sie. Ihre Stimme überschlug sich dabei, so daß man sie fast nicht verstehen konnte: »Nazischweine! Ihr Nazischweine!«
    Der Journaldienst wollte zurücklaufen. »Laß sie«, sagte mein einführender Kollege. »Die kennt nichts anderes.«
    Auch ich konnte mich nicht daran erinnern, von dieser Frau auch nur einen einzigen Satz gehört zu haben, ohne daß darin das Wort Nazischweine vorkam. Aber der Journaldienst war ein Hitzkopf. Bei ihm setzte es schnell eine Ohrfeige, und er war nicht leicht zu beruhigen.
    »Wenn das so ist«, schrie er, »dürft ihr wieder einmal eine Nacht in unserem Hotel verbringen.«
    »Daraus wird nichts«, sagte ich. »Die Zellen müssen für heute abend freigehalten werden. Anordnung des Chefs.«
    »Und da bringt mir der Mistelbacher die Arschficker heim«, sagte er.
    Mein einführender Kollege fuhr ihn an: »Jetzt halt endlich deine blöde Goschn, sonst kriegst du Fernsehverbot.«
    Im Keller gibt es drei Zellen. Dort werden die Festgenommenen eingesperrt, bis der Untersuchungsrichter entscheidet, was mit ihnen geschehen soll. Einmal hat eine Frau behauptet, sie sei vergewaltigt worden. Damals hat derselbe Kollege Journaldienst gehabt. Aber sie hat es nicht beweisen können.
    Jedenfalls konnte ihn mein einführender Kollege so weit bringen, daß er sich wieder niedersetzte und das Rennen anschaute.
    Außerhalb der präparierten Piste war keine Spur von Schnee. Als ein Schweizer Bestzeit fuhr, zog unser frisch ernannter Gruppeninspektor die Pistole und legte an. »Nein«, haben wir geschrien. Da steckte er die Pistole weg und begann laut zu lachen.
    »Habt Ihr wirklich geglaubt«, prustete er und brachte die Worte fast nicht heraus, »habt Ihr wirklich geglaubt, ich schieß Euch den Fernseher ab?«
    Er lachte, bog sich zusammen, sprang auf, ließ sich fallen und lachte immer noch.

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