Opfer der Lust
einer Stunde am Fort Hill Tower treffen oder ich komme morgen früh aufs Revier!“
„Du willst mir eine Szene machen? Warum?“, wollte er betroffen wissen. „Seit wie vielen Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen, vier oder fünf?“
„Es geht um ein Überwachungsvideo aus der Jamaica Plain Shopping-Mall. Erinnerst du dich? Du hast damals nachts als Wachmann gejobbt und tagsüber die Polizei-Akademie besucht. Nachts kann es dort sehr einsam sein, es sei denn, man hat eine aufgeschlossene Freundin, die auf Stippvisite kommt.“
„Oh!“, war alles, was er antwortete.
„Am Tower! In einer Stunde!“ Sie legte auf.
Beth hatte ein schlechtes Gewissen. Das Liebesspiel war so lange her und sie beabsichtigte nicht, Aarons Ehe zu zerstören, aber er würde ihr helfen müssen, um das Video und sämtliche Kopien in ihren Besitz zu bringen und alles unwiderruflich zu löschen.
Sie ging wieder ins Erdgeschoss, zog ihren Mantel im Treppenhaus aus und legte ihn über das Geländer.
Als sie ins Wohnzimmer ihrer Eltern trat, stockte ihr der Atem. Blanche, Mantis und Daryl saßen auf der Couch und starrten gebannt auf den Bildschirm eines Laptops, der auf dem Wohnzimmertisch stand. Beth wagte nicht hinzuschauen.
Hatte Kade ihrer Familie das Video zukommen lassen, weil er nicht glaubte, dass Beth seiner Anweisung folgend ins Hideaway kommen würde? Oder hatte er ihnen einen Ausschnitt geschickt, in dem nicht ihr Gesicht, sehr wohl aber die schamlosen Handlungen zu sehen waren, um Druck auf Beth auszuüben?
Beunruhigt schaute sie in die Küche, deren Tür offen stand, aber sie war leer. War Kade wieder gegangen oder gerade im Bad?
„Da bist du ja endlich.“ Blanche winkte sie heran. „Setz dich. Möchtest du ein Glas Rotwein?“ Sie rückte ein Stück von Daryl weg und klopfte auf den Platz, auf dem sie eben gesessen hatte.
„Nein, danke, Mom.“ Bethany nahm zwischen ihnen Platz. Ihr Herz pochte so aufgeregt, dass Beth schon meinte, es würde ihren Brustkorb sprengen.
Als Daryl seinen Arm um ihre Taille legte, zuckte sie zurück. Hoffentlich hatte er ihre abweisende Reaktion nicht bemerkt. Sie kuschelte sich rasch an ihn, damit er keinen Verdacht schöpfte.
Ihm schien nichts aufgefallen zu sein. Er lächelte sie an, drückte ihre Hand und schaute wieder auf den Bildschirm.
Lazy kam zu Beth und legte sich auf ihre Füße. Sie streichelte ihn und bemerkte, dass ihre Hand zitterte.
Ängstlich hielt sie die Luft an.
Sie wagte endlich, einen Blick auf den Bildschirm zu werfen. Es lief kein Video, auch waren keine obszönen Fotos – Standbilder aus dem Video – von ihr darauf zu sehen, sondern nur die Internetseite eines Reiseanbieters.
Erleichtert atmete sie aus.
„Wie gefällt dir Kanada, Pumpkin?“, fragte Mantis. „Wir könnten in den Banff Nationalpark fahren. Das ist einer der berühmtesten Parks Kanadas.“
Blanche trank einen Schluck Wein und begann zu schwärmen: „Die Rocky Mountains, Wälder, wohin du auch siehst, glasklare Bergseen, sogar Gletscher und Wasserfälle.“
„Und natürliche heiße Quellen“, fügte Daryl euphorisch hinzu.
Beth hob erstaunt die Augenbrauen. „Ihr plant einen Sommerurlaub? Dafür haben wir doch gar kein Geld.“
„Lass das mal meine Sorge sein.“ Mantis zwinkerte. „Für meine Familie nur das Beste.“
Daryl lehnte sich zurück. „Das haben wir uns verdient. Wir vier werden mal so richtig ausspannen, weit weg von Boston.“
Bethany war nicht sicher, was sie von dem gemeinsamen Urlaub halten sollte. Im Grunde war sie froh, dass Daryl sich ausgezeichnet mit ihren Eltern verstand, aber in letzter Zeit verbrachten sie kaum noch Zeit in trauter Zweisamkeit. Immer war mindestens ihr Vater dabei. Manchmal hatte sie sogar das Gefühl, dass Daryl lieber mit ihm zusammen war und sie nur als Anhängsel betrachtete.
Es ist unfair, so zu denken, rügte sich Bethany in Gedanken. Sie war undankbar.
Daryl und Mantis waren Arbeitskollegen bei Maternity Help. Sie hatten sich angefreundet und ein Recht darauf, ihre Freizeit miteinander zu verbringen.
„Freust du dich nicht?“, wollte ihre Mutter wissen.
Beth strich über Lazys Kopf, um Zeit für eine Antwort zu gewinnen. „Doch, sicher, nur das viele Geld.“
„Dein Vater verdient gut –“
Das war Beth neu. Laut Aussage ihres Vaters waren die Raten für das Haus so niedrig angesetzt, dass er und Blanche sie noch bis ins hohe Alter zahlen würden.
Mantis fuhr seiner Frau über den Mund. „Belaste sie nicht
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