Opfer (German Edition)
drückte gelindes Erstaunen aus – »ich natürlich.«
Er trat vor, trat wieder zurück, sagte: »Nein.«
»Na, dann nich.« Ihre Stimme war ein trauriger ritualistischer Singsang, völlig ergeben. Sie rückte ein Stückchen von ihm weg. »Werd ich mal wieder gehn«, sagte sie, ein wenig ängstlich und mit einer Spur von Rauheit, als der Klang schwerer Schritte den Bürgersteig heranhallte und sie so schnell verschwand, wie sie gekommen war.
Verdammt, warum war er nicht mitgegangen? Jetzt – er fasste an seinen weichen Schwanz und spähte in den Nebel hinein – war es zu spät …
»Der Gong zur nächsten Runde!«
Abermals lauschte er der durch den Nebel dröhnenden gesichtslosen Stimme. Ja … Einen noch, mehr nicht, mehr nicht, und so riss er sich zusammen und ging so langsam und vorsichtig, dass ihm klar war, es musste sehr komisch wirken, zum Rinnstein vor, trat runter, überquerte, jetzt im Gefühl völliger Gewalt über seinen Körper, die schmale Straße, schritt zu der halboffenen Tür der Kneipe und stieß sie weit auf. Doch da …
»Hoppla, jetzt hab ich mich auf meine vier Buchstaben gesetzt!«
»Dann gehst du wohl besser gleich wieder raus, Freundchen!«
Ihn fast um Haupteslänge überragend, schielte der Mann, der ihm unsanft auf die Beine half, mit schlangenhaften Südstaatleraugen, die an nichts so sehr erinnerten wie an das Knallen einer Peitsche, zu ihm runter.
»Ach, mir fehlt nichts, bin bloß ausgerutscht«, sagte Rodney, rückte von ihm weg und ging zur Theke, wo er sich zwischen zwei Leute zwängte.
Herrgott, war das heiß hier. Und laut. Er musste an Samstagabend in New York denken, während er, dort eingeklemmt und vergeblich versuchend, vom Büfettier bemerkt zu werden, an einem blaustichigen Roosevelt-Bild vorbei auf ein Schild schaute, das direkt über der Registrierkasse hing. In der Mitte waren darauf ein paar Flaschen gemalt. Darüber stand: kein verkauf an , und darunter: die keine 100-prozentigen amerikaner sind! Rodney lächelte, lächelte spöttisch, blickte dann auf Roosevelts dünne, abstinente Lippen, auf seine schwachen blassen Augen, auf die Hartnäckigkeit seines vorstehenden Kinns und …
»Ich hasse Krieg«, sagte er laut, wobei er den Kopf schüttelte und Daumen und Finger an die Nasenbrücke hielt, als rücke er einen Kneifer zurecht. »Eleanor hasst Krieg. Ich hasse Eleanor …«
»Ich rate dir, Freundchen …«
Er drehte sich um und sah denselben großen Kerl vor sich, der ihm hochgeholfen hatte.
»Oh«, sagte Rodney. »Du bist sicher so ein richtiger Südstaatendemokrat, ein echter hundertprozentiger Amerikaner …«
»Hab hier nicht so’n großen Rand. Ich geb dir’n guten Rat: Zieh lieber wieder Leine …«
Der Kerl schaute bitterböse drein. Doch Rodney war zu betrunken, um sich auch nur im Geringsten einschüchtern zu lassen, und erwiderte: »Hör mal, mein Guter, du magst zwar ein hundertprozentiger Amerikaner sein, ich aber bin ein zweihundertprozentiger Amerikaner. Und darum überleg dir, was du zu mir sagst.«
»So …?« Des Mannes Augen waren keine Schlitze mehr, aber noch immer ganz schmal. »So?«, wiederholte er. »Wie meinst du’n das, du wärst’n zweihundertprozentiger Amerikaner?«
»Nun«, sagte Rodney, und genoss es, dass sich eine Anzahl Leute von der Theke umgedreht hatten, um ihnen zuzuhören. »Ihr hier unten im Süden hasst die Nigger und die Katholiken und die Juden und schimpft euch hundertprozentige Amerikaner. Ich aber bin ein zweihundertprozentiger Amerikaner, denn ich hasse alle .«
Obwohl es links und rechts von Rodney Gelächter gab, zeigte sich auf des großen Mannes Gesicht nicht die leiseste Andeutung eines Lächelns, als seine Augen wieder zu Schlitzen wurden und er sagte: »Verschwinde lieber freiwillig, Freundchen, eh ich dich mit Fußtritten rausbefördere …«
»Was glaubst du, wer du bist?«
»Werd ich dir gleich zeigen, du Hänfling!«
Es war, als schlösse sich – »Lässt du los!« – ein überdimensionaler Schraubstock um seine Schultern …
»He, Rodney!«
»Hallo, Pocahontas!«, rief er, wenn auch einigermaßen schwach, als der Kerl ihn losließ und sagte: »Ein Freund von dir, Fortune?«
»Ja, Butch, lass ihn zufrieden.«
»Okay, okay.« Der große Kerl war ein gestrandeter Leviathan. »Tut mir leid Kumpel«, sagte er, lammfromm, ja fast unterwürfig. »Wer Fortunes Freund ist« – er hielt ihm seine riesige Pranke hin – »ist auch mein Freund …«
Zögernd ließ sich Rodney von ihm
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