Opfer
Nächstes dran?«
»Ein Jugendbetreuer, ein Pfadfinderführer, ein Hausmann«, ratterte Francesca eine Liste der Vorbilder herunter, die Rivett wohl am meisten ärgern durften. Als sie dann Luft holte, durchfuhr sie erneut ein Angststoß.
Und wenn er es schon wusste?
Während sie das dachte, lächelte der alte Polizist auch wieder und lehnte sich zurück. »Ein Lehrer, hätte ich jetzt gesagt«, merkte er an. »Männer gibt’s in dem Beruf immer weniger, nicht wahr? Hab ich zumindest gehört …«
*
»Noch mal vielen Dank, Mr Ward.« Smollet eilte mit Sean zur Tür der Wache und hielt sie ihm auf. »Dann bis morgen neun Uhr dreißig.«
»Neun Uhr dreißig«, wiederholte Sean, als die Tür sich hinter ihm schloss.
Eine Weile blieb er auf dem Treppenabsatz stehen und sah Smollet hinterher, der durchs Foyer lief, dem Polizisten am Wachtisch zunickte und durch eine Tür dahinter verschwand. Dann klingelte Seans Handy.
*
Francesca erschrak und verschüttete etwas Wasser, als jemand an die Tür klopfte.
Rivett fuhr ungeduldig herum. »Ja?«, fragte er barsch.
Der Kellner blieb an der Tür stehen. »Tut mir leid, Sie noch einmal stören zu müssen, Sir. Sie werden am Telefon verlangt. Er sagt, es gehe um Eric und sei dringend.«
*
»Hallo?«, meldete Sean sich. Er kannte die Nummer nicht.
»Spreche ich mit Sean Ward?«, fragte ein Mann mit Norfolker Akzent zögerlich.
»Ja. Wer ist denn da, bitte?«
»Wir kennen uns noch nicht, aber meine Tochter hat mich gebeten, Sie anzurufen. Francesca Ryman. Ich habe wichtige Informationen, die ich Ihnen weiterleiten soll.«
Philip Pearson , dachte Sean. »Welche denn?«, fragte er und ging die Treppe hinunter auf sein Auto zu.
»Also, wenn ich das hier richtig verstehe, begibt sie sich gerade in große Gefahr. Darf ich vorher fragen, wer Sie sind?«
»Moment«, erwiderte Sean, ging schneller, kramte in der Tasche nach dem Autoschlüssel und drückte auf die Entriegelung. Die Scheinwerfer des Wagens leuchteten auf. »Ich muss nur eben wohin, wo keiner mithören kann«, erklärte er. Er öffnete die Tür, ließ sich auf den Fahrersitz gleiten, warf die Tasche neben sich und schaute in den Rückspiegel, als er die Tür zuschlug.
»Tut mir leid. Ich bin Privatdetektiv und arbeite für eine Anwältin in London.«
»Detektiv?« Mr Pearson wirkte verwirrt.
»Ich ermittle hier in einem alten Fall«, erklärte Sean. »Und Ihre Tochter hilft mir dabei.«
»Sagen Sie nichts. Es geht um Corrine Woodrow, oder?«
Seine Stimme verlor sich in lautem Gebell.
*
»Bin gleich wieder da«, sagte Rivett, stand auf und drückte die Zigarre im Aschenbecher aus. »Nicht weglaufen.«
Sobald die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, musste Francesca an Pats harten Blick und ihren halblauten Ausdruck unterdrückter Wut denken, als sie an ihrem Schreibtisch vorbeigekommen war, bevor Pat ihr den Anruf vom Polizeipressesprecher durchgestellt hatte …
Sie erinnerte sich an die Stimme des Anrufers und war sich jetzt sicher, dass der »Pressesprecher« in Wirklichkeit Rivett gewesen war.
Langsam bekam sie Panik. Sie schlüpfte in ihren Mantel und schnappte sich ihre Tasche. Dann wurde ihr klar – sie konnte nicht einfach durch die Tür gehen. Rivett oder einer seiner adretten Männer würden sie unter irgendeinem Vorwand aufhalten. Ihr Herz raste. Sie zog die roten Samtvorhänge beiseite.
*
»Mr Pearson?« Sean sah im Rückspiegel, wie sich in der Wache etwas bewegte.
»Tut mir leid«, meldete Francescas Vater sich wieder. »Musste nur eben die Hunde ins andere Zimmer sperren. Die machen schon den ganzen Abend Radau. Ich weiß ja nicht, wie Sie beide zueinander stehen, aber Frannie hat gesagt, ich müsse ihr vertrauen, also kann ich nur hoffen, dass Sie wissen, was Sie tun. Ich habe gerade mehrere Seiten von Frannies Ex-Mann Ross gefaxt bekommen. Er hat für sie irgendwelche Geschäftsdokumente recherchiert, und da taucht ein Name auf, der mir gar nicht gefällt. Leonard Rivett.« Er hielt kurz inne. »Hier steht, er und Dale Smollet sind Partner in der Leisure Beach Industries Inc of Ernemouth …«
Im Rückspiegel sah Sean, wie Smollet mit einem anderen Mann diskutierte, einem Uniformierten in ungefähr seinem Alter. Smollet hatte einen roten Kopf, schrie und gestikulierte wild.
»… und zwar schon seit März 1989. Sagt Ihnen das etwas?«
Smollet kam aus der Wache und lief die Treppe hinunter. Sean brauchte eine Weile, bis er verarbeitet hatte, was Pearson ihm gerade gesagt
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