Opfer
aus.
*
»Leonard Rivett«, sagte Francesca.
»Ganz recht.« Er trat einen Schritt auf sie zu, lüpfte den Hut mit der einen Hand und streckte ihr die andere entgegen. Eine Pranke voller Altersflecken, an jedem Finger ein Goldring. Und die Daumen eines Mörders , dachte sie.
Aber sie lächelte ihn charmant an und legte ihre schlanke Hand in seine. »Dann brauche ich mich wohl nicht vorzustellen«, sagte sie.
»Natürlich nicht, Miss Ryman.« Rivett drückte ihre Hand nur kurz und nicht zu fest. »Ich weiß, dass Sie nicht mit mir verabredet waren, aber DCI Smollet ist leider auf dem Weg von der Wache hierher aufgehalten worden.« Rivett schüttelte den Kopf und zog die Augenbrauen hoch. »Sie wissen ja, wie das bei unserem Beruf sein kann. Also hat er mich gebeten, ihn kurz zu vertreten.«
Er drehte sich um und zeigte auf den Tisch. »Er braucht sicher nicht lange, höchstens eine halbe Stunde, hat er gesagt. Ich war so frei und hab mir schon mal einen Drink bestellt. Setzen Sie sich doch zu mir.«
»Danke.« Francesca nickte höflich, setzte sich an den Platz mit dem leeren Glas und las das Etikett der Rotweinflasche. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, ob Rivett wirklich wusste, was sie gern trank, und wenn ja, woher. Ab dem Moment, als er hinter der Tür hervorgetreten war, war ihr klar, dass er nicht zufällig dort war.
»Sehr schön.« Er folgte ihrem Blick und hob die Flasche.
»Aber« – sie legte die Hand über ihr Glas – »leider bin ich mit dem Auto da. Ich finde nicht, dass ich das riskieren sollte. Schon gar nicht in Anwesenheit eines Polizisten.« Sie lächelte freundlich. »Könnten Sie mir vielleicht ein Mineralwasser bestellen?«
»Natürlich.« Rivett füllte sein eigenes Glas, lehnte sich zurück und drückte einen kleinen Knopf an der Wand zu seiner Rechten. Sofort erschien ein weiterer adretter kleiner Mann mit weißem Jackett und schwarzer Fliege, der ihre Bestellungmit einer Verbeugung entgegennahm und die Tür wieder hinter sich schloss.
»Aber Sie wissen doch, dass ich nicht mehr im aktiven Dienst bin«, sagte Rivett, als der Kellner wieder gegangen war. Er lehnte sich vor und nickte verschwörerisch in Richtung Wein. »Also brauchen wir uns nicht an die üblichen Regeln zu halten.«
Als Francesca seine gelben, spitzen Zähne sah, musste sie gegen einen Widerwillen ankämpfen, der noch weit stärker war als der Angstschub bei seinem ersten Anblick.
»Hat der DCI Sie deshalb geschickt?«, fragte sie.
*
Als Noj aus dem Haus kam, wusste sie erst nicht, in welche Richtung sie laufen sollte. Sie blieb einen Augenblick stehen und ließ die Augen über den Platz wandern. Ihr Instinkt sagte ihr, dass Sean in der Nähe war. War er vielleicht ins Swing’s gegangen? Ja, das hörte sich gut an.
Als sie über die Straße rannte, hörte sie in der Ferne Hunde bellen.
*
»Ich hatte heute ein sehr aufschlussreiches Gespräch mit Mrs Linguard von Ihrer alten Schule«, sagte Sean. »Sie hat gesagt, Sie waren mal mit ein paar ziemlich üblen Gestalten befreundet, was Sie sicher nicht abstreiten würden.«
Smollet lächelte betont reuevoll. »Sie meint Shane Rowlands und Neal Reeder, die Dorfdeppen der Ernemouth High. Sie hat recht, die waren nicht ohne – sogar die aus der Förderklasse hatten Angst vor Rowlands. Er war so was wie der Anführer.« Er nickte, während er sich erinnerte. »Ich hab mich da wohl in meiner jugendlichen Dummheit mitreißen lassen. Aber zum Glück habe ich dann meine Fehler eingesehen undhab mich am Anfang der elften Klasse von denen losgesagt. Hatte erst wieder mit ihnen zu tun, als ich bei der Polizei war.« Wieder lächelte er. »März ’89 haben die versucht, das Postamt zu überfallen. Rowlands und Reeder waren die ersten, die ich je eingebuchtet hab.«
Er wollte gerade etwas anderes sagen, als er merkte, dass sein Telefon blinkte. Er runzelte die Stirn. Er hatte angeordnet, dass er nicht gestört werden sollte.
»Moment mal, bitte«, sagte er und nahm den Hörer ab.
*
Mr Pearson kniff die Augen zusammen und bekam ein flaues Gefühl im Magen, als er das Fax las. Alte, schlechte Erinnerungen kehrten zurück.
»Oh Gott«, murmelte er. »Hoffentlich heißt das nicht das, wonach es aussieht. Nicht noch einmal …«
Digby, der ihn von der Tür aus beobachtet hatte, bellte laut. Im Nebenzimmer winselte Lewie und rollte sich aus dem Körbchen.
*
Rivett lachte. »Das ist aber keine faire Frage.« Er hob sein Glas und musterte Francesca über den Rand
Weitere Kostenlose Bücher