Opfer
raffiniert. Und ihr schlichtes, langes, schwarzes Kleid schmeichelte ihrer Figur. Als sie aufgehört hatte zu lachen, hob er den Blick schnell wieder.
»Hmm«, sagte sie. »Wir sind uns ja doch ähnlicher, als ich gedacht hatte.«
*
»Sag mal«, flüsterte Edna Amanda ins Ohr. »Wer ist denn der schicke Junge, der da mit Sammy redet?«
Amanda folgte dem Blick ihrer Mutter. »Weiß nicht. Aber er macht schon was her, oder?«
»Das ist mal etwas anderes«, stimmte Edna ihr zu.
*
»Siehst du?« Rivett stellte sich neben Eric. »Hab’s dir doch gesagt. Hübsches Pärchen, oder?«
»Er hat sich ganz gut rausgeputzt«, gab Eric widerwillig zu.
»Aus dem wird mal was, Eric«, sagte Rivett. »Der schafft’s mal nach ganz oben. Hat alles, was ich brauche, um aus ihm einen großartigen Polizisten und Musterbürger zu machen. Und jetzt noch was, was dich schon vor meiner Rede aufheitern wird: Ich hab eine neue Süße für die nächste Produktion gefunden.«
»Ja?«, fragte Eric, der die Augen nicht von Samantha nahm. »So gut wie die letzte ist sie ja doch nicht.«
»Sag das nicht zu schnell«, mahnte Rivett. »Die stammt aus demselben Stall. Und« – er lehnte sich herüber und flüsterte – »sie ist erst süße fünfzehn.«
*
»Corrine, komm jetzt runter!«, brüllte Gina die Treppe hinauf. »Und mach’ dich ein bisschen schick.«
Corrine sah sich ihre gesammelten Talismane an, die sie auf dem rosafarbenen Plastik-Anziehtisch ausgebreitet hatte, den ihr irgendwann mal eine Oma geschenkt hatte, an die sie sichkaum erinnerte. Sie wusste nicht, ob es an Noj lag oder eher daran, dass Rat jetzt weg war, aber in den Wochen, die sie wieder hier war, war Gina nicht ein Mal in ihr Zimmer gekommen und hatte die Schätze von ihrem Altar geklaut, zerstört oder geschändet.
Corrine ließ den Blick über den roten Knautschsamt-Schal gleiten, den sie als Altartuch benutzte. Noj hatte ihr die Kerzen und die reich verzierten indischen Messingteller, auf denen sie jetzt standen, in dem Kifferladen in Norwich gekauft und ihr erklärt, dass sie damit sehr pfleglich umzugehen habe, damit der Zauber weiter wirke.
Zwei Kerzen, die sie vorher mit Sandelholzöl eingerieben hatte, brannten zu beiden Seiten einer Messingschale, in der sie Meersalz in heißem Wasser aufgelöst hatte. Außen glommen Räucherstäbchen in lotusförmigen Messingständern und füllten das Zimmer mit dem Duft von Weihrauch und Myrrhe.
Die Kerzen schützten ihre teuersten Besitztümer, die Bücher und Tarotkarten, die ihr Mentor ihr gegeben hatte. Die Ars Goetia und das Necronomicon . Ersteres war ihr am wichtigsten, weil es sie damals an dem Abend auf der Polizeiwache vor Gina gerettet hatte. Ohne Nojs Hilfe hätte sie es nicht mal aussprechen und auch kein einziges Wort verstehen können. Aber für Corrine ging von diesem Buch eine schützende Kraft ohnegleichen aus.
»Corrine!« Ginas Stimme wurde lauter, und es klopfte drohend durch den Boden. »Runterkommen hab ich gesagt! Sofort!«
Corrine starrte sich im Spiegel an und stellte sich vor, wie sie von weißem Licht eingehüllt wurde. Sie wiederholte dreimal die Zeile, die sie mittlerweile auswendig wusste, verneigte sich vor dem Altar, stand auf und ging nach unten.
In der Küche stand ein Mann bei ihrer Mutter.
Ein Mann, den sie, soweit sie wusste, noch nie gesehen hatte, der ihr aber gleichzeitig so vertraut war, dass sie zweimal hinschauen musste, als er sich umdrehte und sie ansah.
Eine große, breite Gestalt mit Lammfellmantel und schwarzem Trilby mit Feder. Dunkle, tiefliegende Mandelaugen unter schwarzen Augenbrauen in einem breiten, wettergegerbten Gesicht. Er lächelte breit, und Corrine sah seine spitzen Raubtierzähne. Corrine legte sich eine Hand ans Gesicht, während ihr eine Frage durch den Kopf ging.
»Das hier«, sagte Gina, bevor Corrine den Mund aufbekam, »ist dein Onkel Len.«
Corrine runzelte die Stirn. Ihr erster Gedanke ging in einen plötzlichen Angstschub über. War das etwa der Ersatz für Rat?
»Hallo Corrine«, sagte der Mann und streckte ihr die riesige Pranke entgegen. Goldringe funkelten an jedem Finger.
Zögerlich griff Corrine zu, und er drückte sanft ihre Hand. Wieder wurde ihr ganz komisch zumute, als sie ihn ansah. Ihr kam ein seltsamer Gedanke: Log Gina vielleicht endlich mal nicht? War dieser Mann wirklich ihr Onkel?
»Ich hab dich das letzte Mal gesehen«, sagte er, als würde er ihre Gedanken lesen, »da warst du noch ganz klein und hast im
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