Opfer

sie damals am Strand von Ernemouth zurückgelassen hatte, wie ihr Psychiater glaubte, sondern weil sie so versuchte, ihre Schuld gegenüber Darren Moorcock abzuarbeiten, den sie zu seiner Mörderin geführt hatte.
    Ihr alter Klassenlehrer Philip Pearson sagte aus, es handle sich um das gleiche Bild, das die sechzehnjährige Samantha Lamb gerade mit Obszönitäten beschmierte, als er sie im Flur erwischt hatte. Einen Tag bevor Moorcock von ihren Händen umgebracht worden war. Wie Dr. Radcliffe hatte er jedoch keine Ahnung, woher das Motiv stammte, und nahm an, dass es eigene Erlebnisse an den örtlichen Stränden wiedergab.
    Janice Mathers hatte sie alle aufklären können. Es war das Cover von Darren Moorcocks liebster – oder zweitliebster, da hatte er sich nicht mehr entscheiden können – LP. Einige Mitglieder der Jury hatten sich von der Ironie des Titels zu Tränen rühren lassen: Heaven up Here .
    Als diesmal die gesamten Beweise inklusive der Aussagen von Pearson, Sheila Alcott und Paul Gray vorgetragen wurden, kamen endlich die wahren Tragödien des Falls ans Licht: Darren Moorcock war ein Mensch, der gelebt, geatmet und von einer Zukunft geträumt hatte und nicht nur ein Element in einer reißerischen Farce. Corrine Woodrow war durch ihre bedauernswerte Lage, wie durch ihre unbewusste Verwandtschaft mit dem Mann, der die ursprüngliche Ermittlung geleitet hatte, Opfer tödlicher Propaganda geworden, die auch ihr gewissermaßen den Rest ihres Lebens geraubt hatte.
    Das Einzige, was die Anwältin nicht hatte vollends beweisen können, war, dass das Pentagramm, mit dem Blut des Opfers um seine Leiche gezeichnet, später hinzugefügt worden war, um Corrine als teufelsanbetende Mörderin abzustempeln. Der DS im Ruhestand Gray wiederholte unter Eid, er könne sich nicht daran erinnern, diese Zeichnung am Tatort gesehen zu haben. Sein ehemaliger Kollege Alf Brown wiederholte ebenso standhaft, dass er es sehr wohl gesehen habe – und seine Tatortfotos dienten als unumstößlicher Beweis. Brown war allerdings mittlerweile der einzige Beteiligte der ursprünglichen Ermittlung, der noch aussagen konnte.
    DS Andrew Kidd und DS Jason Blackburn waren beide aus dem Dienst entlassen worden und warteten auf ihre Verhandlungen wegen Vergehen im Amt vor der Independent Police Complaints Commission. Rivett lag unter der Erde, und Smollet hatte die letzten Entwicklungen nicht verkraftet und aus gesundheitlichen Gründen gekündigt.
    Mathers verspürte ein gewisses Mitgefühl für Smollet, der nicht gewusst hatte, dass auch er von Rivett manipuliert worden war und die mörderische Nachkommenschaft von dessen bestem Freund aus blinder Liebe zwanzig Jahre lang geschützt hatte. Die Anwältin hatte Smollet aber noch nie für allzu helle gehalten.
    Sie hatte schon immer gewusst, dass nur jemand von außerhalb das komplexe Netz durchschauen konnte, das die beiden schrecklichen alten Männer vor all den Jahren in der kleinen Stadt gewoben hatten. Sean Ward hatte es Faden für Faden aufgelöst und dabei Leonard Rivetts Arroganz und Ignoranz zum Vorschein gebracht.
    Soweit sie es rekonstruieren konnten, hatte Rivett zuletzt vorgehabt, Francesca Rymans Mord seinem Schützling in die Schuhe zu schieben. Die Pistole, mit der er auf sie gezielt hatte, war Smollets Dienstwaffe, die er ohne dessen Wissen aus dem Safe in seinem Büro entnommen hatte. Die Dokumente, die Smollets Eheschließung mit Samantha belegten, sowie die Vorteile, die er aus dieser gezogen hatte, waren nebst eines vielsagenden Porträts von Samantha und ihrer Mutter auf dem Tischim Büro des Leisure Beach zurückgelassen worden. Rivett hatte es aussehen lassen wollen, als hätte Smollet Francesca bei einem Einbruch überrascht, der ihr die nötigen Beweise für die geschäftlichen Verwicklungen der Familien Hoyle und Rivett geliefert und Ward auf die Spur der Besitzerin der Phantom-DNA gebracht hätte.
    Mathers hatte schnell festgestellt, dass Rivett Ward eine manipulierte DNA-Probe gegeben hatte: Der betreffende Biker Adrian Hall war schon zehn Jahre zuvor unter einen LKW geraten – einer von Rivetts makaberen Scherzen. Vielleicht hatte Rivett vorgehabt, dies als Finte zu verkaufen, um Smollet aus der Reserve zu locken, und Samanthas Identität preiszugeben, nachdem ihr Mann verhaftet und Francesca tot war. Ryman und Ward hatten am Anfang ihrer Nachforschungen keine Ahnung gehabt, dass Rivett ihnen immer einen Schritt voraus war.
    Das Ship Hotel, wo Ward geschlafen