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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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Körbchen, sobald er die Tür hörte.
    »Noodles?«, rief sie. Kein Lebenszeichen im Flur, das einzige Geräusch kam von der großen Pendeluhr.
    Edna ging in die Küche, schaltete das Licht an und stellte ihre Einkäufe auf den Tisch. In seinem Körbchen war er nicht. Die Klaue krallte sich fester in ihren Bauch.
    »Noodles?« Sie ging ins Wohnzimmer und ins Esszimmer, schaltete alle Lampen an und schaute unters Sofa und unter alle Stühle. Sie brauchte eine Weile, bis sie den seltsamen Geruch einordnen konnte. »Haarfärbemittel«, sagte sie laut und stapfte die Treppe hinauf.
    Das grelle Licht aus dem Bad zeichnete vor Ednas Augen ein hartes Relief, das sie fast zu Boden sinken ließ. Über den schwarz-weißen Linoleumboden, die avocadofarbenen Badematten und die vormals flauschig-weißen Handtücher, die zusammengeknüllt in der Wanne lagen, zogen sich breite schwarze und lilafarbene Streifen. Spritzer überzogen das weiße Emaille des Waschbeckens und die Spiegel, der Duschgriff hatte die Farbe eines frischen Blutergusses, und die Wanne selbst …
    »Sammy!«, kreischte Edna. Sie wollte sich das Gesicht ihrer Enkelin vorstellen, aber sie sah nur die achtzehnjährige Amanda, die sie auslachte.
    »Sammy!« Sie stolperte in den Flur, riss die Tür zum Zimmer der Übeltäterin auf, fand dort aber nur einen Haufen Kleider und Zeitschriften. Der Plattenspieler surrte leise.
    Als sie sich vorbeugte, um ihn auszuschalten, hörte sie ein klagendes Winseln.
    »Noodles?« Die Wut verflog, als das Geräusch Edna einen Stich ins Herz versetzte.
    Er kam unter dem Bett hervorgekrochen.
    »Oh nein«, flüsterte Edna und nahm ihn in den Arm. »Oh, mein Baby …« Schockiert riss sie die Augen auf.
    Noodles schöne blonde Locken waren abrasiert, von dem prächtigen Hund war nur noch eine dürre, zitternde Ratte übrig. Nur ein einziges schwarzgefärbtes Fellbüschel stand noch zwischen den Ohren. Eins seiner Augen war lila angelaufen.
    Tränenüberströmt wiegte Edna ihn in den Armen.
    *
    Die Market Row war die letzte der engen Gassen, die einmal den Marktplatz von Ernemouth umringt hatten wie die Fäden eines Spinnennetzes, und deren Fachwerk-Obergeschosse einander fast berührten. Debbies Oma hatte ihr oft erzählt, wie sie als junge Frau auf der Fensterbank gesessen und mit Debbies Opa Händchen gehalten hatte, der im Fenster gegenüber saß. Omas Straße war von Flugzeugen der Luftwaffe dem Erdboden gleichgemacht worden, die ihre restlichen Bomben über der letzten Stadt auf dem Radar abwarfen, bevor sie wieder über die Nordsee zurück nach Deutschland rauschten. Aber Debbie musste an die Geschichte ihrer Oma denken, als Darren seine Finger in ihre verschlang und sie zu ihm hinauflächelte.
    Es war ein schöner Tag gewesen. Sie hatten sich in Norwich bei Backs einen ganzen Stapel Platten gekauft und in dem Laden am Fuß des Elm Hill geniale Robot Boots gesehen, auf die Debbie sparen wollte. Dann hatten sie auf dem Haymarket Pommes gegessen und im Murderers einen Cider getrunken, bevor sie mit der Bahn nach Hause gefahren waren.
    Als sie wieder bei Darren waren, waren seine Eltern unterwegs, also konnten sie die neuen Platten voll aufdrehen, während Darren zum Abendbrot Tiefkühlpizza in den Ofen schob. Jetzt rollte Debbie ein Song über paradiesische Schlaflieder durch den Kopf, wie ein großes Rad, das sich im Nachthimmel dreht.
    Eigentlich hatten sie am Abend nicht ins Swing’s gehen wollen. Darren wollte sie nur nach Hause bringen, vielleicht noch auf einen Kaffee und ein paar Platten mit hereinkommen. Aber als sie an dem großen weißen Gebäude hinter dem Parkplatz von Palmers vorbeikamen, zog das orangefarbene Leuchten der Fenster sie magisch an. Darren wühlte in der Tasche. »Hmm, ein Pfund hab ich noch. Wollen wir eben auf einen Drink reingehen?«
    Debbie wusste, dass sie nur noch Pennies im Portemonnaie hatte, aber auch sie wollte unbedingt hinein. Und wenn sie eine Stunde im Swing’s blieben, würde sie trotzdem noch früh genug nach Hause kommen, und sie müssten sich noch nicht so früh trennen.
    »Klar«, erwiderte sie, »wieso nicht. Wenn Al da ist, gibt er uns bestimmt auch einen zweiten aus.«
    »Super.« Darren strahlte und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
    Als sie die Tür öffneten, schallte ihnen »Young, Gifted and Black« von Bob & Marcia entgegen, ein Lieblingssong von Jane, der Wirtin. Der Laden war voll. Debbie sah als erstes Bully an der Bar lehnen, sein Irokesenschnitt auf der einen Seite

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