Opfer
Bild, an dem sie mit Darren arbeitete. Sie wollte sich wieder im Design des fiktiven Plattencovers ihrer Lieblingsband verlieren, das sie eben noch so begeistert hatte.
»Ich will da hin«, sagte Samantha.
»Wohin?«, fragte Corrine.
»Ins Swing’s.« Sie starrte immer noch Debbie an und lächelte.
*
»Du willst doch Kosmetikerin werden«, drängte Samantha. »Los jetzt, an die Arbeit.«
Es war Samstagnachmittag, und sie waren bei Sams Großeltern im Bad. Corrine fühlte sich dort immer noch ein bisschen unwohl, auch wenn die Alte mit ihren klapprigen Freundinnen unterwegs und Sams Opa bei der Arbeit war. Corrine hatte aber Angst, dass einer der beiden jeden Moment hereinplatzen und herausfinden könnte, was sie vorhatten.
Die Musik dröhnte aus Sams Zimmer über den Flur. Es war eine der vielen Platten, die Sam sich vorher bei Wolsey & Wolsey gekauft hatte. Für Corrine hörte sie sich einfach nach Lärm an, aber Sam hatte sichtlich ihre Freude daran – die Platte war von der Band, die Debbie so mochte. Corrine konnte nur daran denken, dass sie bei dem Krach nie im Leben die Haustür hören würden.
Nervös öffnete sie die Packung Haarfärbemittel. Sam war heute extrem großzügig gewesen, also musste sie ihr wohl den Gefallen tun. Im Plattenladen hatte sie ihr die neue Madonna-12-Inch gekauft, und dann waren sie noch zu Chelsea Girl gegangen. Dort hatte Sam sich ein komplettes neues Outfit besorgt und Corrine eine Netzstrumpfhose und neongelbe Socken ausgegeben. Danach ging es zu Woolworth, wo sie das Haarfärbemittel und einen Crimper wie den von Debbie fanden.
»Woher hast du eigentlich das ganze Geld, Sam?« Die Frage war aus Corrine herausgeplatzt. Ihre Freundin hatte bestimmt dreißig Pfund ausgegeben, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Dad hat mir ’nen Scheck geschickt«, erwiderte sie. »Hat wohl ’n schlechtes Gewissen.«
Es war ein Permanent-Färbemittel im Ton »Raven Black«. Das durfte sie nicht versauen.
Corrine trug das letzte bisschen auf Sams Kopf auf und fing jeden Tropfen auf, der auf die Vaseline-Schicht am Haaransatz glitt, als sie das Gefühl überkam, dass sie beobachtet wurde.
Sie drehte sich langsam um.
Zwei braune Augen starrten sie an. Noodles hielt den Kopf schräg und beobachtete sie.
»Ach, du bist’s bloß.« Corrine atmete auf. »Hast du mich erschreckt.«
»Nicht schon wieder.« Sam kniff die Augen zusammen. »Hab dir doch gesagt, das ist ’n neugieriges Biest. Willst uns wieder verpetzen, was, du dummer, kleiner Köter?« Sie stand auf.
»Nein!«, schrie Corrine panisch. »Halt still, deine Haare …«
Aber Noodles war schon abgehauen.
Mit eigenartigem Grinsen setzte Sam sich wieder.
*
Edna kam erst nach sechs zurück. Sie hatte sich mit Shirl und den anderen in Norwich einen schönen Tag machen wollen. Doch als sie zum Cream Tea kamen, der für Edna normalerweise der Höhepunkt eines Tages auf dem Elm Hill war, merkte sie, dass es ihr den Appetit verschlagen hatte.
»Was ist denn?«, hatte Shirl gefragt und kritisch den kaum angerührten Scone auf Ednas Teller beäugt.
Edna hatte sie mit feuchten Augen angeschaut. »Ach, Sammy und ich haben uns gestritten …«, beichtete sie.
Sie war erleichtert, dass sie es endlich ausgesprochen hatte und nun die mitfühlenden Worte der anderen hörte, während sie sich mit einem Taschentuch die Augen tupfte. Sie solle sich bloß keine Vorwürfe machen – Teenager seien nun mal schwierig, und natürlich gingen die Schwierigkeiten der letzten Zeit nicht einfach so an Sammy vorbei. Ihre Enkelinnen brächten auch immer unliebsame Freunde mit nach Hause, aber man müsse sie eben ihre eigenen Fehler machen lassen. Würde Edna Sammy den Umgang mit Corrine verbieten, würde das die beiden nur noch enger zusammenschweißen. Und diese ganze Punk-Geschichte sei eben so eine Phase, die viele von ihnen mal durchmachten.
»Sieh es doch mal so«, hatte Shirl gesagt. »Sie wächst immerhin nicht mitten im Krieg auf wie wir damals. Das Schlimmste, was ihr passieren kann, ist eine alberne Frisur. Eine Bombe fällt der bestimmt nicht auf den Kopf.«
Der Gedanke an die Schrecken ihrer eigenen Jugend hatteEdnas Sorgen in die richtige Perspektive gerückt. Aber als sie bei ihrem dunklen Haus ankam und den Schlüssel umdrehte, umschloss die kalte Klaue der Angst ihre Eingeweide.
»Hallo?«, rief sie in den Flur und knipste das Licht an.
Irgendetwas stimmte nicht. So still war es im Haus doch nie. Normalerweise sprang Noodles aus dem
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