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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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einen Hand zwirbelte sie am Griff einer Plastiktüte herum, während die andere fast von der Glut einer heruntergebrannten Zigarette versengt wurde.
    »Bitte vergib mir noch einmal«, wimmerte sie, als die ersten Tränen schwarze Kajalspuren auf ihre Wangen zeichneten.
    »Wofür denn?«, fragte Debbie. Sie war von der traurigen Gestalt ihrer Freundin so schockiert, dass sie die Gemeinheiten der letzten Wochen fast vergessen hatte. Fast, aber nicht ganz. Corrine sollte sie schon benennen.
    »Dafür, dass ich nur noch mit Sam rumgelaufen bin«, schluchzte Corrine, »und dass ich sie ins Swing’s mitgenommen hab.«
    »Ach so«, sagte Debbie, lehnte sich an den Türrahmen, ließ Corrine aber noch nicht hinein.
    »Ich wollt’s ja gar nicht.« Corrines Augen flehten, und ihr lief die Nase, »aber sie hat mich gezwungen. Das musst du mir glauben, Debs, ich wusste nicht, wie die wirklich ist, bevor …«
    Sie bekam die Worte nicht mehr heraus. Sie wurde von Schluchzern geschüttelt, warf ihre Zigarette auf den Boden, trat sie aus und wünschte, sie könnte auch die Erinnerung an den armen, kleinen Hund auslöschen.
    »Ist ja gut«, sagte Debbie, »jetzt komm erst mal rein.«
    »Wer ist denn da, Schatz?«, rief ihre Mutter aus der Küche.
    »Ist nur Reenie, Mum«, erwiderte Debbie. »Geh schon mal hoch«, forderte sie Corrine auf, »und ich mach’ uns ’nen Tee. Bin sofort bei dir.«
    Corrine gehorchte. Debbie musste ihre Mutter abfangen,damit sie sich nicht einmischte. Ihr Vater hatte zum Glück schon seine Spätschicht als Taxifahrer angetreten.
    In der Küche trocknete Maureen Carver sich die Hände ab. Sie hatte gebacken, und ihre Schürze war voller Mehl, ihr Gesicht rot und ihre Haare von der Hitze zerzaust. Sie war besorgt, weil Debbie ihr schon erzählt hatte, dass Corrine die ganze Woche geschwänzt hatte. Mehr hatte Debbie nicht gesagt, aber ganz offensichtlich hatte es irgendeinen Krach zwischen ihnen gegeben. Sie hatte ihre Tochter noch nie so launisch erlebt.
    Nicht, dass Maureen bei ihrer Freundschaft je ein gutes Gefühl gehabt hätte. Natürlich tat Corrine ihr leid, musste sie ja, denn bei der Mutter hatte die Kleine kaum eine Chance im Leben. Maureen hatte Debbie erlaubt, sie mit nach Hause zu bringen, und sich nie daran gestört, wenn sie sich hier durchfraß, solange Debbie ihr versprach, nie im Leben mit zu Corrine nach Hause zu gehen.
    Maureen hatte Angst, Corrine könnte irgendwann wie ihre Mutter enden – und wenn sie sich vorstellte, dass Debbie in so etwas verwickelt werden könnte … Sie war erleichtert gewesen, dass die beiden in letzter Zeit weniger miteinander zu tun gehabt hatten und dass Debbie so einen netten jungen Mann wie Darren Moorcock gefunden hatte.
    »Mum«, sagte Debbie leise und schloss die Tür hinter sich, »ich weiß noch nicht, was los ist, aber sie ist ziemlich fertig. Sprich sie bitte nicht auf die Schule an, bevor ich nicht Bescheid weiß.«
    »Okay«, erwiderte Maureen. »Meinst du, sie bleibt zum Abendessen?«
    »Nehm ich an.« Debbie wurde das Herz schwer, als sie das sagte. Nicht nur für Maureen war Corrines Abwesenheit eine Erleichterung gewesen. Bloß hatte Debbie deswegen ein schlechtes Gewissen. »Kann ich ’nen Tee und ein paar Kekse mit nach oben nehmen, damit sie sich beruhigt?«
    »Klar, greif zu.« Maureen nickte auf den Ofenrost, auf dem gerade frische Ginger Snaps abkühlten.
    Corrine saß auf Debbies Bett und starrte aus dem Fenster. Eine Träne war ihr die Nase hinuntergelaufen und hing vor ihren Lippen. Sie hatte ein Buch auf dem Schoß liegen, aber als Debbie hereinkam, schreckte sie von ihrem Tagtraum auf und stopfte es wieder in die Einkaufstüte neben sich.
    »Hier.« Debbie stellte das Tablett ab und gab Corrine eine Tasse Tee und einen Teller, auf dem sich die Kekse türmten. Sie nahm ihre eigene Tasse, setzte sich ans andere Ende des Betts und sah zu, wie Corrine gierig den Teller leeraß. »Oh nein, das tut mir leid – wolltest du auch einen? Ich hatte so Hunger und hab nicht nachgedacht«, sagte Corrine.
    Debbie schüttelte den Kopf. »Was ist los, Reenie?«, fragte sie. »Warum warst du die ganze Woche nicht in der Schule?«
    »Ich hatte Angst«, erwiderte Corrine, deren Augen wieder aussahen wie im Swing’s. »Wegen Sam. Die ist nicht normal. Die wollt’ gar nicht mit mir befreundet sein. Hat mich bloß gebraucht, um so zu sein wie du.«
    Debbies Puls raste. »Was meinst du damit? Die Haare und so?«
    Corrine nickte niedergeschlagen.

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