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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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»Die musste ich ihr machen. Und dann hat sie …« Sie verzerrte das Gesicht und fing an zu zittern.
    »Was ist passiert, Reenie?«, fragte Debbie. »Was hat sie gemacht?«
    Corrine winkte ab. »Ich kann nicht …«
    »Ist gut.« Debbie lehnte sich vor und legte ihr die Hand auf den Arm. Zum ersten Mal zuckte Corrine nicht vor der Berührung zurück. Debbie versuchte es anders.
    »Wo warst du überhaupt?«, fragte sie. »Doch nicht zu Hause, oder?«
    »Nein«, sagte Corrine und wischte sich die Nase am Ärmel ab. Debbie nahm die Taschentuch-Box vom Anziehtisch und reichte sie Corrine, die sich geräuschvoll schnäuzte. »Ich war bei Noj.«
    Debbie runzelte die Stirn. »Bei wem?«
    »Noj«, erwiderte Corrine. »Den kennst du nicht. Hab ihn auf der Promenade kennengelernt.«
    Debbie hatte diesen seltsamen Namen noch nie gehört, und er machte ihr fast noch mehr Sorgen als das, was Samantha Lamb Corrine angetan hatte.
    »Ist okay.« Corrine schaute ernst. »Da bin ich sicher. Sein Alter ist auf der Bohrinsel, und seine Mum haut so lange immer zu ihrem Liebhaber ab und lässt Noj alleine zu Hause. Da geht’s mir gut. Besser als bei mir zu Hause auf jeden Fall.« Corrine zitterte.
    »War sie das?« Debbie nahm eine von Corrines Strähnen in die Hand. An den gebleichten Stellen waren die Haare gebrochen. Corrine nickte.
    »Sie hat gesagt, sie weiß, was sie tut. Wusste sie ja auch vielleicht«, sagte Corrine, und ihre Augen blitzten wütend. »Jedenfalls, wenn sie wollte, dass ich wie der letzte Trottel ausseh.«
    »Was machst du jetzt?«, sprach Debbie die unausweichliche Frage aus.
    »Ich geh wohl zum Friseur.« Corrine zuckte die Schultern. »Lass alles abschneiden und fang neu an.«
    »Nein, ich meine …«, setzte Debbie an, überlegte es sich aber anders. »Hast du Geld?«, fragte sie stattdessen, wobei ihr wieder das Herz schwer wurde, als sie an die Robot Boots dachte, die einen weiteren Monat im Laden in Norwich bleiben würden.
    »Nein«, erwiderte Corrine, die mit steifem Gesichtsausdruck an Debbie vorbei aus dem Fenster starrte, wo die Straßenlaternen ansprangen.
    »Ich kann dir helfen«, hörte sie Debbie sagen. »Ich hab ein paar Pfund gespart …«
    Corrine schüttelte den Kopf. »Nein, Debs. Es war schon toll, dass du mich überhaupt reingelassen hast. Ich kann nicht noch mehr von dir annehmen. Ich muss jetzt auch so langsam los …«
    »Nein, bleib doch«, erwiderte Debbie. »Mum hat gesagt, du kannst zum Essen bleiben …«
    Aber Corrine war schon aufgestanden und hatte ihre Tüte in der Hand. »Geht nicht. Ich hab jetzt was zu erledigen. Wollt’ nur wissen, ob wir noch Freunde sind. Sind wir doch, oder?«
    Debbie nickte. Corrine drückte ihr kurz die Hand. »Mach dir keine Sorgen wegen mir, ehrlich«, sagte sie. »Nojs Alter ist noch mindestens eine Woche weg.«
    »Kommst du nicht zurück zur Schule?«, war das Einzige, was Debbie herausbrachte.
    Corrine schob sich die Haare aus dem Gesicht. »Erst, wenn ich die ganze Scheiße geregelt hab.« Sie lachte gequält. »Weißt du, einen Gefallen kannst du mir doch tun.« Ihr Gesicht wurde wieder ernst. »Sag keinem was. Schon gar nicht ihr «, fügte sie mit bösem Blick hinzu.
    *
    Als Corrine gegangen war, blieb Debbie wie betäubt auf dem Bett sitzen. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was Sam Corrine wohl Schlimmeres angetan haben konnte als ihre Haare zu verunstalten. Was war so schrecklich, dass Corrine es nicht einmal aussprechen konnte?
    Während sie aus dem Fenster starrte, bemerkte sie, dass bei Alex gegenüber das Licht ausging. Einen Augenblick später kam er aus der Haustür und zupfte sich lächelnd die Frisur zurecht. Er ging schnell nach Norden, Richtung Innenstadt.
    *
    Corrines Laune war schon viel besser, als sie bei Debbie losging. Sie war überglücklich, dass Debbie ihr nicht mehr böse war, und wusste jetzt ganz genau, was sie tun musste. Alles war ihr klar geworden, während sie darüber gesprochen hatte – es war ja auch ganz offensichtlich. Schwierig würde es nur, das Geld zusammenzukriegen. Aber auch da hatte sie inzwischen ihre Mittel und Wege.
    Sie ging über Seitenstraßen zur St Peter’s Road, wo sie rechts abbog, Richtung Promenade und Trafalgar Pier.
    Der Biergarten war wie jeden Winter zu einer Rollschuhbahn umfunktioniert worden, aber Corrine reihte sich nicht in die Schlange von Jugendlichen davor ein. Sie trat in die Schatten neben dem Pavillon, wo »Thriller« dumpf durch die Wände wummerte, und ging am Pier

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