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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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schwarze Jeans und eine schwarze langärmlige Ethno-Bluse mit Stickereien. Um ihren Hals hingen schmale Lederbänder mit Amuletten. An allen Fingern trug sie Ringe – einer davon mit einem riesigen, grünen Auge – und um die Handgelenke Armreife. Die Enden größtenteils verborgener Tattoos schlängelten sich ihr um Arme und Hals.
    »Also«, sagte sie, als sie den Tee einschenkte, »wenn Sie so nett wären, mir Ihren Namen zu sagen, verrate ich Ihnen vielleicht auch meinen.«
    »Sean Ward«, erwiderte er.
    »Sean Ward«, wiederholte sie und nickte. »Ein starker Name.«
    Aus der Nähe sah er, dass ihre Augen wirklich smaragdfarben waren und sie keine gefärbten Kontaktlinsen trug. Endlich sah er auch die Krähenfüße unter dem Kajal und die feinen Fältchen auf ihrer Oberlippe. Vielleicht war sie doch im selben Alter wie Corrine Woodrow.
    »Und Sie sind?«, fragte er.
    Sie lächelte, wobei sich Grübchen bildeten. »Meine Mutter hatte es nicht so mit der Kirche. Sie hat mich nie taufen lassen. Aber auf meiner Geburtsurkunde steht John Brendan Kenyon.«
    Sean musste grinsen, als er verstand, wie sehr er auf dem Schlauch gestanden hatte. Na klar, das war’s, irgendetwas an ihrer Stimme hatte von Anfang an nicht gestimmt.
    »Aber irgendwie beschloss das kollektive Unterbewusstsein meiner Schulkameraden, dass meine Mutter falsch gelegen hatte. Sie nannten mich Noj – mein Vorname rückwärts –, und das ist hängengeblieben. Sie fanden, dass ich einfach kein Junge sein konnte, weil ich so anders war als sie alle.« Sie zog eine nachgemalte Augenbraue hoch. »Also wurde ich ein Mädchen.«
    Sie reichte ihm eine Teetasse. »Der Name gefällt mir, also dürfen Sie mich gerne so nennen.«
    Sean fragte sich, ob er sie deshalb nicht in den alten Polizeiakten gefunden hatte, weil er nach einem Mädchen und nicht nach einem Jungen gesucht hatte. Er bezweifelte aber, dass sie auf einem der Polizeifotos zu sehen gewesen war.
    »Und Sie gingen mit Corrine zur Schule?«, fragte er.
    Sie legte den Kopf schräg. »Sagen Sie mir zuerst, warum Sie das wissen wollen.«
    Sean rührte seinen Tee um und hielt ihrem Blick stand. »Meine alte Kriegsverletzung«, setzte er an, »wegen der ich hinke, die hat mir ein Fünfzehnjähriger mit einer improvisierten Pistole zugefügt, mit der er zum Glück nicht richtig umgehen konnte. Ein Dealer, ein Corner Boy, Sie kennen die Sorte bestimmt?«
    »Oh ja«, erwiderte Noj. »Vor vielen, vielen Jahren war ich selbst mal so jemand in der Art.«
    »Okay«, sagte Sean, »ich wollte ihm eigentlich helfen. Ich dachte, ich hätte sein Vertrauen gewonnen, und hab ihn überredet, mir jemand Ranghöheres zu geben. Das Schwein, das all die kleinen, bösen Jungs in der Gegend für sich arbeiten ließ. Der Junge hat ein Treffen für mich organisiert.« Er schüttelte den Kopf. »Einen Hinterhalt, genauer gesagt.«
    »Er hat auf Sie geschossen?«
    Sean nickte. »Später wurde eine Menge Dünnschiss darüber geschrieben. Peinliche Sachen, dass ich angeblich ein Held wäre. Ha. Ich war ein Idiot: Hab versucht, dem armen, benachteiligten Jungen zu helfen, von der Straße zu kommen, dabei war er von Anfang an genau da, wo er sein wollte. Als sie mich dann irgendwann wieder zusammengeflickt hatten, konnte mich die Met nicht mehr gebrauchen, also musste ich als Privatdetektiv anfangen. Deshalb bin ich hier. In London sitzt eine Anwältin, die meint, sie hat genug Beweise, um Corrine eine Berufung zu ermöglichen. Ich soll für sie noch ein bisschen mehr herausfinden.«
    Noj riss die Augen auf. »Wirklich?«, fragte sie. »Es gibt also eine Chance …?«
    »Das ist eine gerissene Anwältin«, sagte Sean. »Was aber nicht heißt, dass die Sache klappen muss. Sie haben ja gesehen, wie es gelaufen ist, als ich versucht hab, das Vertrauen von Corrines alten Freunden zu gewinnen.«
    Noj schüttelte den Kopf und legte die Hände vor sich auf den Tisch.
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, erwiderte sie. »Die hätten Ihnen auch nicht weiterhelfen können. Die waren zwar damals da und wussten, wer Corrine war – aber sie hatten nichts mit der Sache zu tun. Sind hinterher nur gejagt worden wie alle anderen, die ein bisschen anders waren. Die meinen, Sie sind ein Bulle, und würden nicht im Traum daran denken, Ihnen weiterzuhelfen.«
    »Sieht so aus«, sagte Sean und hob seine Tasse. »Und nun zu Ihnen – wie passen Sie ins Bild?«
    »Ich war dabei«, erklärte Noj. »Ich habe alles gesehen.« Sie lächelte und zog wieder

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