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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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In seinem Kopf spielten sich mehrere Szenarien ab, und die Fahrt zur Hafenspitze hatte ihm schon oft geholfen, die schlechten Ideen von den guten zu trennen. Ein kleines Gespräch mit Norfolks größtem Sohn und eine Zigarre am Ende der Welt würden ihm schon den Weg weisen. Er gab Vollgas und beschleunigte auf der langen, verlassenen Straße.
    *
    »Und«, setzte Francesca an, als sie ein Stück Pita in eine Schale Kleftiko tunkte, »was hast du über Paul Gray rausgefunden?«
    Sean schaute Keri zu, der am anderen Ende des Restaurants versuchte, die letzten Gäste des Abends mit seinem Filmstarlächeln aus dem Lokal hinauszubeschwören. Sie beide hatte er diesmal in einer hinteren Ecke im Erdgeschoss an einen Tisch gesetzt und ihn mit Essen und Wein beladen, als sie kaum die Jacken ausgezogen hatten.
    Sean hatte den Zeitungsausschnitt aus Francescas erster Mappe vor Augen, ein weiterer eingefrorener Moment aus der Vergangenheit. Rivett und Gray auf den Stufen der Wache, die verkündeten, dass sie einen Verdächtigen in Gewahrsam hatten. Rivetts Gesicht war eine angemessen ernste Maske, während Grays nur von der Seite zu sehen war, hohe Wangenknochen, ein geschwollenes Ohr, dichtes, schwarzes Haar, das über den Geheimratsecken zurückgegelt war.
    Fragen, was aus ihm geworden ist , hatte Francesca dazu auf ein Post-it geschrieben.
    »Wie bist du überhaupt drauf gekommen, dich über ihn zu erkundigen?«, fragte er.
    Sie schluckte einen Bissen hinunter. »Naja, Gray hatte sie gefunden, also wollte ich wissen, wie sie in dem Moment gewirkt hat. Nach den Erkenntnissen von heute« – sie steckte die Gabel in ein Stück Lamm – »könnte das sehr wichtig sein. Wenn sich Corrine wirklich in einer katatonischen Trance befand, würde das Sheilas Aussage bestätigen.«
    »Gut möglich«, gab Sean zu.
    »Hat Rivett dir irgendetwas über ihn erzählt?«, fragte Francesca.
    »Nur, dass er ein guter Polizist war«, erwiderte Sean. »Besonnen, bodenständig und so weiter. Nichts Verdächtiges. Hat mir sogar seine Nummer gegeben, damit ich mich mit ihm treffen kann.«
    »Ach?« Francesca zog die Augenbrauen hoch. Sie hatte nicht erwartet, dass es so einfach wäre.
    »Gleich morgen früh schau ich mal, was ich aus ihm rausbekomme. Aber da passt noch was anderes nicht, was du mal für mich überprüfen könntest.«
    Seit er die Polizeiwache verlassen hatte, überlegte er, ob er sie um Hilfe bitten sollte oder nicht. Ob er ihr vertrauen konnte. Sheilas Mappe zeigte eigentlich, dass er es konnte. Oder zumindest, dass sie wusste, wie man recherchierte.
    »Eins wusste ich nämlich schon, bevor ich hierhergekommen bin«, erklärte er. »Meine Auftraggeberin findet die Tatsache interessant, dass Euer derzeitiger Detective Chief Inspector of Police Dale Smollet mit Corrine Woodrow zur Schule gegangen ist.« Er lehnte sich vor und sprach leise, obwohl sie die letzten im Saal waren.
    Francesca schaute überrascht auf. »Tatsächlich?«
    Sean nickte. »Sie waren sogar in derselben Klasse.«
    »Was? Und er hat kein Wort gesagt?«
    »Nein«, erwiderte Sean. »Und Len genauso wenig. Wenn ich der misstrauische Typ wäre, könnte ich sogar vermuten, dass Len mich da gezielt irreführen wollte. Kurz bevor ich dem DCI vorgestellt wurde, hat er nachdrücklich angedeutet, dassSmollet damals viel zu jung war, um Corrine zu kennen. Und als ich dann mit Smollet persönlich gesprochen habe, hat er es mit keinem Wort erwähnt. Also, ich an seiner Stelle« – Sean erinnerte sich an Smollets Worte – »hätte das ja gleich offengelegt. Nicht, dass noch jemand meint, ich hätte was zu verbergen.«
    »Nicht schlecht«, sagte Francesca.
    »Außerdem haben die beiden so getan, als könnten sie sich nicht ausstehen, also nehme ich an, dass sie eine Zwei-Mann-Show abziehen. Wer den Affen spielt, können wir uns wohl vorstellen, aber andererseits ist hier nur selten etwas das, wonach es aussieht.«
    Francesca legte das Besteck ab und wischte sich mit der Serviette den Mund ab.
    »Du hast die Regeln von Ernemouth ja schnell gelernt.«
    *
    Rivett stand zu Admiral Nelsons Füßen und sah zu ihm hinauf. Um ihn herum peitschte der Wind den Sand die Dünen hinauf und jagte die Wellen gegen den Hafendamm. Er zog ein letztes Mal an der Zigarre und schnippte sie weg. Sie zog einen orangefarbenen, funkensprühenden Bogen und verschwand in der Dunkelheit.
    Rivett nickte zufrieden. »Sehr wohl, Herr Admiral«, sagte er und tippte sich an die Hutkrempe.
    Auf dem Weg zurück

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