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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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damalige Redakteur des Ernemouth Mercury , Mr Sidney Hayles. Bis auf Mr Swift, der so frisch und tatkräftig aussah wie eines von Tony Blairs Kabinettsmitgliedern, waren es alles alte Männer mit hervortretenden Venen und buschigen Augenbrauen.
    »Aus der Frühzeit des digitalen Archivs des Mercury «, erklärte Francesca. »Nachdem ich mit der Sozialarbeiterin gesprochen hatte, hab ich ein bisschen nach Belegen für ihre Story gewühlt. Gucken Sie sich mal die Gesichter an.«
    »Die lokalen Würdenträger«, erwiderte Sean, der darauf wartete, dass sie ihm auch noch erklärte, dass Rivett Dreck am Stecken hatte. »Ganz normal, oder?«
    Francesca wandte sich wieder dem Bildschirm zu. »Meiner Erfahrung nach ist es immer das Gleiche. Egal ob bei einem landesweiten Skandal oder einer Kleinstadtgeschichte wie hier. Man hat es immer mit dem ewigen Dreieck aus Wirtschaft, Behörden und Presse zu tun. Der liebe alte Sid Hayles« – sie imitierte Pats Stimme und tippte mit dem Stift an das Bild ihres Vorgängers – »fraß Len Rivett aus der Hand. Über Jahrzehnte reihen sich schwärmerische Berichte über jeden seiner Schritte. Eigentlich können wir unseren alten Ausgaben kein Wort glauben.«
    »Ich war den ganzen Tag mit Len Rivett unterwegs«, sagte Sean. »Er hat einen ganz hilfsbereiten Eindruck gemacht. Hat mir die ganzen alten Akten heraussuchen lassen, Namen und Adressen für mich aufgespürt …« Er studierte ihr Profil, während er sprach. »Hat mich sogar zum Essen eingeladen. War überhaupt sehr freundlich. Was haben Sie gegen ihn?«
    Francesca starrte weiter auf den Bildschirm. »Sie haben nicht gehört, was Sheila gesagt hat.«
    »Was denn?«
    »Tja«, setzte Francesca an, »am interessantesten ist eigentlich, was sie nicht sagen durfte. Damals.«
    Sie drehte sich zu Sean. »Sheila war Corrines Sozialarbeiterin von Corrines Ankunft in der Stadt mit vierzehn Jahren bis zu ihrer Verhaftung. Corrine wurde vom Sozialamt betreut, seit sie in Cotessey hinter Norwich auf die Junior School kam.« Francescas Blick wurde härter. »Wenn man das Betreuung nennen kann.«
    Unwillkürlich hatte Sean Nojs Stimme im Kopf: » Ihre Mutter hat sie mit zwölf das erste Mal verkauft. An drei dreckige Biker auf einmal … «
    »Sheila hatte ordnerweise Informationen über Corrines Hintergrund und ihre Krankengeschichte und sollte als Zeugin der Verteidigung aussagen, als es so weit war. Einen Tag vor der Verhandlung kam ein junger Bulle bei ihr vorbei und erklärte ihr, dass sie vor Gericht nicht mehr gebraucht würde. Sheila glaubte ihm aus irgendeinem Grund nicht.« Sie senkte den Blick. »Also ist sie trotzdem hingefahren. Dort sagte Corrines Verteidiger ihr aber, dass Corrine sich schuldig bekannt habe und die weitere Aussage verweigere. Sheilas Aussage werde nicht mehr gebraucht. Diese Aussage aber«, – sie sah wieder Sean an, – »hätte Corrines Unschuld bewiesen, da ist sich Sheila sicher.«
    »Und was beinhaltete sie?«, fragte Sean.
    »Wussten Sie, dass Corrine an katatoner Schizophrenie leidet?«
    »Ja«, erwiderte Sean. »Das stand in ihren Akten, und der Arzt in der Anstalt hat es mir noch mal erklärt. Ist mit mir die Medikamente durchgegangen, die kognitive Verhaltenstherapie, die Kunst …«
    Er hielt mitten im Satz inne. Er hatte das Bild aus der Anstalt vor Augen, das Corrine gemalt hatte. Dann wurde ihm bewusst, dass bei Noj genau das gleiche gehangen hatte.
    »Hat der Ihnen auch erklärt, was mit ihr passiert, wenn sie einen Anfall hat?«
    »Nein«, erwiderte Sean. »Aber ich habe ein bisschen Erfahrung mit Schizophrenen.«
    »Bloß wird Corrine nicht aggressiv.« Francescas Augen wurden vom Licht des Monitors angestrahlt. »Bei ihr ist es sogar genau das Gegenteil. In starken Stresssituationen erstarrt sie, wird sie katatonisch. Sie kann sich dann überhaupt nicht mehr bewegen, und wenn sie niemand aus diesem Zustand befreit, könnte sie vor Erschöpfung sterben. Sheila hat sie mehrfach in diesem Zustand erlebt. Jedesmal war Corrine mit etwas konfrontiert worden, was ihr schreckliche Angst einjagte. Es ist also gut möglich, dass sie den Mord miterlebt hat, aber nicht einschreiten konnte, und dabei vom echten Täter, dessen DNA Sie haben, mit Blut kontaminiert wurde. Sheila hat erzählt, dass der Polizist, der Corrine damals fand, das wusste, weil sie bei ihm auf der Wache schon einmal in diese Trance verfallen war.«
    »Paul Gray«, erwiderte Sean.
    »Genau.« Francesca nickte. »Haben Sie

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